Der Polnische Rat der Christen und Juden
hatte die Ehre einzuladen
zur Feier aus Anlass der Verleihung des Titels

„Mensch der Versöhnung” für das Jahr 2018
an
Schwester Michèle der Communauté de Grandchamp

Die Feier fand statt am 4. August 2019
im Zentrum für Dialog und Gebet in Oświęcim.

Der Ehrentitel „Mensch der Versöhnung” wird vom Polnischen Rat der Christen und Juden an Menschen außerhalb Polens verliehen, die sich für eine Annäherung und Verständigung von Christen und Juden einsetzen, besonders in Polen, in Anerkennung ihres Beitrages zum Werk der Annäherung, besseren Kennenlernens und Versöhnung der Gläubigen beider Religionen.

Mit der Verleihung dieses Titels an Schwester Michèle wollen wir unsere Anerkennung für Ihre Haltung, Ihr Engagement und Ihre Kontakte mit Polen zum Ausdruck bringen, insbesondere für die Kontakte mit unserem Rat. Darüber hinaus wollen wir gerne unsere Dankbarkeit und Anerkennung für die Gemeinschaft Grandchamp bezeugen, zu der Schwester Michèle seit 1960 gehört. 33 Jahre lang war się dort für das Noviziat verantwortlich.

Die Laudatio
von Stanisław Krajewski
 „Schwester von der Versöhnung
(Siostra od Pojednania) ist hier zu finden (auf Polnisch):
http://wiez.com.pl/2019/08/02/siostra-od-pojednania/

Die Dankrede von Schwester Michèle:

Lieber Staszek (Krajewski),
dear Mister Nosowski,
liebe Marta,
liebe Mitglieder des Polnischen Rates, 

Von Herzen Dank, dziękuję bardzo !
(Auf der langen Liste der Professoren und Rabbiner, der bisherigen Empfänger dieses Titels, fehlte sicher eine « kl. arme Schwester von  Grandchamp ! Hier ist sie !)  Ein Geschenk, was ich gern empfangen möchte, in der Haltung, welche  das folgende Zitat aus einer chassidischen Erzählung widergibt :  « Man mache nicht viel Aufhebens daraus, dass man Gott dient.  Rühmt sich die Hand, wenn sie den Willen des Herzens tut ? »

Ja, das ist der goldene Faden  in meinem Leben : die teshouva,  die Rückkehr zu Gott ; die Gnade aller Gnaden,  wie es in den Klageliedern  5,21 beschrieben ist :  « Führe uns nach Hause zu Dir, lass uns umkehren, lass uns wieder leben, wie in früheren Zeiten. » (Fais-nous revenir à Toi, et nous reviendrons, renouvelle nos jours comme autrefois). Deshalb braucht es die leeren Hände, und die Ehrfurcht, die ich vom grossen « Vor-bild » langsam versucht habe zu lernen : Unserm Gott, der sich zurückzieht, um uns die Freiheit und die Verantwortung zu überlassen (das « tsim-tsoum » und Phil. 2)   –  Und dazu noch die Geschichte vom Colibri : « Bei einem Waldbrand nahm dieser kleine Vogel einen Schluck Wasser in seinen Mund, um ihn zu löschen. Seine Tierfreunde sagen ihm mitleidig : Bist du verrückt, mit so wenig Wasser kannst Du dieses grosse Feuer nicht löschen ! Er antworte : doch, ich gebe, was ich kann – das ist genug. »

Durch Ihre Wahl haben Sie etwas bewusst gemacht, was schon in mir war ; Sie haben es mir widergespiegelt, den roten Faden in meinem Leben :  Gottes Gegenwart im Anderen ;  das « Sakrament des Bruders, der Schwester » (wie es ein Kirchenvater des 4. Jahrhunders ausgedrückt hatte). – Dazu wieder eine kl. Geschichte der Chassidim : «  Wenn du das Gesicht einer Menschen siehst und du entdeckst darin das Gesicht deines Bruders oder deiner Schwester, dann ist die Nacht zu Ende, und der Tag ist angebrochen. »

Mit  einigen « Begegnungsgeschichten » möchte ich dies illustrieren, Geschichten besonders aus den ersten Jahren.  (dabei sind alle anderen genauso wichtig und gegenwärtig, es ist unmöglich, alle aufzuzählen…) diese Begegnungen ereigneten sich fast alle aus der Stille und dem Hören heraus ; ich habe nichts getan, es passierte einfach, das « ziehe deine Schuhe aus, der Ort, auf dem Du stehst, ist Heiliges Land. » Hier einige Beispiele :

1. Ich kannte niemanden in Polen, die ersten Adressen gab mir Bruder Marek von Taizé : seine Freunde in  Gdansk und Poznan : Joanna und Artur Pruszko , Roman und Hania Murawski,  mit ihren damals kleinen Kindern. Mit Artur in einer Synagoge in Sopot. Grosses  Erstaunen dieser jüdischen Brüder,  was will diese Nonne bei uns , sie interessiert sich für unser Leben  einfach so – sicher waren ein paar Steine waren aus der Erde der Vorurteile herausgeholt !  – Joanna hatte alte Stadtbilder von früher gekauft, um vergleichen zu können, da waren dann genau die Strassen eingezeichnet, die ich von meiner Familie suchte. Sie erklärte : « diese deutschen Karten waren vor einigen Jahren noch undenkbar ». – Mit Roman in der luth. Kirche bei Pfr. Raszyk, in der jüd. Gemeinde, zur Messe bei den Dominikanern. Wir haben « alles » geteilt ! Beide Familien, die damals in sehr kleinen Wohnungen lebten, empfingen mich wie eine Prinzessin, das Kinderzimmer war mein « Königreich ». So viel Verständnis, so viel Wärme, und damit so viel Vergebung.

2. Etwas später wieder in Poznan  bei  Malgorzata Grzywacz. Ein Artikel, 2005 erschienen sprach über ihre Kindheit vom Blickwinkel der kleinen Margarete aus beobachtet und gelebt –   hatte mich sofort sehr berührt, eine Zerreisprobe : diese Lebensaufgabe der Versöhnung ist ihr in die Wiege gelegt ! Auch sie fand in Edith Stein eine grosse Meisterin für ihr Leben. Ich habe viel von ihr gelernt. 2016 – im Jahr der Reformation – hat sie das 1. Buch in Polnisch herausgegeben von s. Minke – der früheren Priorin der Communoté. Darin wurde auch der Kreuzweg aufgenommen, den Papst Johannes Paulus bei s. Minke  angefragt hatte für die Feier  im Coliseum, 1995 in Rom.  Bei einer der Stationen, schreibt sie in einem Gebet : « Vergib uns, dass wir dein Volk verworfen haben bis hinein in unsere Gottesdienste, besonders am Karfreitag ».

3. Allererster Besuch in Polen in  Wroclaw. Mit Prof. Witt, von der lutherischen Kirche, er  zeigte mir das sogenannte Toleranzviertel, indem die Storchsynagoge und die drei  grossen christlichen Kirchen  einen gegenseitigen Respekt leben. Vorher hatte  er mich mit dem Auto vom Flughafen abgeholt. Wie viele Male fragte er mich höflich und erstaunt : Sie sind also katholisch nicht wahr. mein Freund hatte mir von einer evangelischen  Diakonisse erzählt, die ich abholen sollte ! » –  Bis heute verbindet uns eine tiefe Freundschaft. – In Breslau musste ich auch an Alain Blancy denken, der in einer jüdisch-polnischen Familie aufgewachsen ist. Als Flüchtling kam er in ein Lager in Frankreich ;  später wurde er Pfarrer und engagierte sich sehr im jüdisch-christlichen Dialog.  Von ihm habe ich viel gelernt und bekam ich eine wichtige « Einladung » : « Wir müssen – und  es genügt, dass wir der tödlichen Versuchung widerstehen, Judentum und Christentum radikal zu trennen.

4. Mit kl. Bruder Mirek  und Zbychek auf einer Reise nach Tykocin, einem « jüdischen Dorf ». Auf dem Heimweg in Treblinka, wo wir still beten, sind diese jungen polnischen Brüder, die mir sanft  die Hände auf die Schulter legen, wie eine  grosse Versöhnung. – Viele andere Kontakte mit ihnen :  besonders bei der Professs von P. Mirek in Praga, :  hier standen die russischen Panzer, schauten der Belagerung Warschau’s zu ohne zu helfen, einzugreifen. Bei dieser Profess war dies alles sehr präsent,:  Entscheidung für ein ganzes Leben, inmitten von Tod !
Viele Kontakte mit den Kleinen Schwestern Jesu, besonders in Krakow-Zentrum :  nachdem ich mehrere schreckliche Filme über die Vertreibung der Juden aus ihrem Viertel Kazimierz gesehen hatte, konnte ich bei den Kl. Schwestern  Zuflucht finden : eine so starke  Präsenz Gottes in ihrer kleinen Kapelle und in ihrem vertrauensvollen Singen. Wir weinen zusammen.

5. Die Begegnungen  beim oekumenischen « Christophoros-Netz » haben viel Versöhnung entstehen lassen. Father Christopher aus England, hatte  schon früh Verbindungen hergestellt  zwischen Polen und Deutschland, mit kath. und evang. Gemeinschaften. Dort lernte  ich u.e. zwei Personen kennen, die zum Leitungsteam gehören :  Aleksandra Blahut-Kowalski  – luth. Diakonin und Schriftstellerin –  und Sr. Aleksandra, Generaloberin der Dominikanerinnen in Krakow ; beide haben sehr viel  zum Gelingen der Tagungen beigetragen durch ihre Offenheit ,  Ihr Gottvertrauen  und ihre Deutsch-Kenntnisse.

6. Ein kleines Buch « The Bond of Memory »,  2008  von Zbyszek Nosowski herausgegeben , hat mich sehr begleitet : Die eindrückliche jüd./christ. Versöhnungsarbeit, die an vielen Orten in Polen  geleistet wurde, hat mich sehr beeindruckt. Es war für mich eine Begegnung mit Menschen, die sich ganz dafür einsetzten. Ich habe buchstäblich alles « meditiert », besonders die Photos von diesen Menschen, und  es blieb die Sehnsucht, ihnen einmal persönlich zu begegnen, jetzt wurde sie Schritt für Schritt erfüllt (z.B. mit  Zbyszek Nosowski , der bei der oek. Tagung in Otwock den Teilnehmern die jüdische Vergangenheit in dieser Stadt nahebrachte).

7. Auf einem der Photos der Brochure , kann man Bischof Szurman von der lutherischen Gemeinde in Katowice erkennen und Herrn Kac, von der jüdischen Gemeinde des Ortes. Beim festlichen Abendessen im Bischofshaus, verstand ich kaum etwas, aber ich war so glücklich, dass sich die Beiden begegneten ! So ging es später weiter, besonders mit dem Team von Bischof Szurman und vielen anderen Menschen . In der Bischofs-Kirche, am  Ende des Gottesdienstes, nach meiner Bitte um Vergebung, ging ein Flüstern hindurch : der Premier-Minister Buzek ist da ! Er kam mit ausgebreiteten Arme auf mich zu : Ich danke ihnen, was Sie gesagt haben von der Versöhnung, brauchen  wir so, machen Sie weiter bitte. » Es war mir, als wenn ganz Polen Deutschland vergeben hätte. – Danke für das Kommen von Bischof Niemic , Nachfolger von T. Szurman.
Ul. Miodowa  in Warschau : Jedes Mal, wenn ich diese Strasse schreibe, ist mir warm ums Herz. Hier ist das lutherische Zentrum von Polen,  hier wohnen Menschen, die ich sehr schätze : Wichtige Begegnungen mit Bischof Samiec und seiner Frau, mit seinen Pfarrer-Assistenten, seiner Sekretärin Anna , mit Ewa, der Juristin, mit Agnieszka, Pressesprecherin ; mit Wanda von der Diakonie,  und vielen anderen. Ihr « Gegenbesuch » in Grandchamp hat uns Schwestern sehr erfreut.

8. Mit Marta Titaniec : viele Stunden wichtigen Austausches, besonders beim Gottesdienst in der Synagoge in Warschau, bei Rabbi Schudrich. Am Fest von Simchat Torah zusammen mit Monika und anderen Frauen der Gemeinde, erlebten wir eine so eine grosse Freude. Viele Jahre vorher in der gleichen Synagoge kamen mir Tränen der Freude, kleine Kinder zu entdecken, die unten zwischen den betenden Männern spielten–« es gibt noch eine Zukunft für Dein Volk ».

9.  Staszek  Krajewski : erste Begegnung mit ihm  zu Hause : mit Monika, seiner Frau, und Daniel, seinem wunderbaren Sohn: « Das Eigentliche bleibt verborgen » L’essentiel reste cachée. Es  lässt sich kaum beschreiben : Gottes Präsenz – Ehrfurcht – Staunen, wir gehören zusammen, gerade durch unsere Andersartigkeit.  Die Wichtigkeit der Stille, die  Staszek in Grandchamp so aufgenommen hatte, verbindet uns zutiefst. So ging der Kontakt weiter bis zum  70. Todestag von Edith Stein, bei dem der Gebetsweg in Birkenau  vom Rat vorbereitet war,  bis hin  zum Singen des Totengebetes in Birkenau, dem « El male Rachamim ». Und bis jetzt. Das Zeugnis über seinen Lebensweg und über das  « Sh’ma Israel », das « Höre Israel » waren für  unsere Retraite, unsere oekumenische Gruppe sehr wesentlich.

10. Zum Schluss kommen wir zurück ins « Zentrum für Dialog und Gebet » in Oświęcim, zu Pater Manfred –   und später zu Edith Stein. Einer der wichtigsten Sätze von ihm : « Auschwitz ist ein fruchtbares Land, warum ? weil es ein Land der Verwandlung ist. Es soll uns nicht krank machen, sondern menschlicher ». Diese Ueberzeugung hat sicher dazu beigetragen, meine Intuition, « beten in Auschwitz » zu stärken. Sie fiel bei Karin Seetaler auf guten Boden und sofortige Bereitschaft. Pater Manfred stellte die Verbindung zu s. Angela von den Missionarinnen Maximilian Kolbe her. Zwei Jahre später – 2015  sind wir  dann in Harmęże,  ihre grosse Zugewandheit bewegt uns sehr , sie leben etwas von der « Cell of love », in der p. Maximilian Kolbe sein Leben hingegeben hat . – Auch mit den Schwestern vom Carmel hier nebenan, bin ich sehr verbunden, besonders mit s. Maria-Teresia.
Agnieszka, eine polnischen Volontärin, die mit uns in Grandchamp lebte, nahm im Zentrum an einer Retraite teil.  Sie schrieb darüber vor 7 Jahren : « Die Retraite mit p. Manfred war eine sehr sehr wichtige Erfahrung. Ich spürte, dass dieser Ort eine Quelle des Lebens und der Hoffnung  sein will, stärker als Tod und Hass, eine Quelle von lebendigem Wasser. »

Ganz zum Schluss, noch ein paar Sätze zu Edith Stein, deren 77. Todestag wir am 9. August gedenken :  Nach einem Spaziergang  sagte mir Manfred : « Du hast Dich gestärkt in der Schönheit der Natur, jetzt kannst du nach Birkenau gehen zu Edith  Stein»  Vor zwei Jahren, ( im Mai 2017) haben wir an ihrem vermutlichen Todesort einen Baum gefunden, der Symbol der Verwandlung und der Versöhnung für uns geworden ist. (siehe Karte von diesem  Baum, der innen ganz hohl war, aber voller Blüten !) mit den Worten von Edith Stein  : « … ohne Verwandlung des Leids in Freude, wäre die Last des  Lebens sinnlos-  was in den Augen der Menschen schwach erscheint, hat Gott stark gemacht, das ist die Hoffnung meines Lebens. »  Danke an Margarete für diese Idee und für alle Uebersetzungen – In einem ungarischen Film, der sicher nicht ganz der Person Edith Steins gerecht wird, hat mich die letzte Szene sehr berührt : Edith, die im Umkleideraum ihre Häftlingskleider ablegt hat, geht – einen langen Weg der Dunkeheit –  bis in ein grosses Licht, in dem ihre Mutter sie empfängt und umarmt ! – Colette Kessler , jüdische Theologin der reformierten Synagoge in Paris und Grandchamp sehr nahe, sagte einmal : « In ihrer Person geschah eine eschatologische Vorwegnahme, eine Begegnung zwischen der christlichen und der jüdischen Seele. …dass Juden und Christen beide – jeder auf seine Weise – zum Segen werden für alle Völker der Erde – zur höchsten Ehre Gottes

Eva Mozes Kor,  eine Ueberlebende von Auschwitz,  ist vor einigen Wochen in Polen gestorben.  Nach einem Anschlag auf das Museum, welches sie in Amerika mit viel Mühe gegründet hatte, schrieb sie – und damit will ich schliessen : «  Sie mögen einige Fotos zerstört haben, aber nicht unsere Geschichte. Sie mögen ein Gebäude zerstört haben, aber nicht unsere Gemeinschaft. Licht besiegt die Dunkelheit und Liebe wird immer den Hass überwinden. »

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Polska Rada Chrześcijan i Żydów
The Polish Council of Christians and Jews
Gemeinsame Vorsitzende: Stanisław Krajewski i Zbigniew Nosowski
www.prchiz.pl
Korrespondenzadresse: ul. Trębacka 3, 00-074 Warszawa

Fotos: Iwona Budziak i Manfred Deselaers