Poznan, den 4. März 2005
An das Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim
Vielen Dank für den Brief, den ich anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des KL Auschwitz – Birkenau bekommen habe. Es hat mich sehr gerührt, dass es so viele Jugendliche gibt, die sich für die KZs interessieren und die alles tun wollen, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern. Ich habe mich deswegen entschlossen, ein Paar Worte von mir dazu zu schreiben.
Am Anfang möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Stefania Bajer, geborene Golebiewska. Ich bin am 23. Juni 1927 in Leszno Wielkopolskie geboren. Ich war politischer Häftling in den folgenden Konzentrationslagern: Ravensbrück Nr. 56384, Neuengamme Nr. 6362 – Nebenlager Bad Salzgitter und Bergen-Belsen. Während des Krieges habe ich in Warschau gewohnt (seit 1939). Die Situation dort war sehr spannend. Es gab Razzien auf den Strassen, man hat das Wegführen der Zwangsarbeiter ins Dritte Reich durchgeführt, es gab Erschießungen und Verhaftungen, es gab Terror. Polen haben angefangen sich zu wehren. Es sind Untergrundorganisationen entstanden, man hat angefangen illegale Blätter auszugeben und in den Wäldern verbreitete sich die Partisanenarmee. Zusammen mit meinen Schulkameradinnen wollte ich gegen den Okkupanten auch etwas tun. Im Frühling 1942 bin ich mit meinen zwei Kolleginnen in die illegale Pfadfinderorganisation „Szare Szeregi“ („Graue Reihen“) eingetreten. Seit dem Herbst 1942 waren wir zu einer Untergrundorganisation AK (Landsarmee) delegiert, wo wir eine Schulung als Meldegängerinnen angefangen haben. Kurz vor dem Warschauer Aufstand haben wir den Fahneneid geleistet. Während des Aufstandes waren wir auf einem Melderposten in dem Stadtteil Warschau – Ochota in der Filtrowastrasse 43 in Einsatz. Dieser Aufstand ist über die Kaminski Waffen – Brigade, die in Dienst der SS stand, blutig und schnell untergedrückt worden. Bei der Pazifisierung haben wir am 11. November 1944 den Befehl bekommen, Warschau gemeinsam mit der Zivilbevölkerung zu verlassen. Andernfalls wären wir als Aufständler sofort erschossen worden. Das haben wir auch getan und über Zieleniak und das Lager in Pruszkow sind wir ins KL Ravensbrück gelangt.
Ihr habt sicherlich schon viel von der Gräuel der KZs gehört; von dem Schock, den das Wegnehmen aller persönlichen Sachen, der Verlust des eigenen Namens und die Nummerverleihung verursacht haben.
Liebe Freunde! Ihr fragt, was uns geholfen hat, diese schwierige Zeit zu überleben. Es waren unsere Jugend (wir waren damals 17), unsere Freundschaft, gegenseitige Hilfe und Unterstützung und die Hoffnung, dass der Krieg schnell zu Ende wird. Soweit wie es möglich war haben wir uns bemüht uns zusammenzuhalten, weil wir es instinktiv empfunden haben, dass unsere Chance des Überlebens dadurch steige. Dabei war auch unser Glaube an Gott und Seine Gerechtigkeit wichtig. In dieser Stelle möchte ich Euch von einem Vorkommnis erzählen. Mitte September 1944 sind einige Deutsche in Zivilkleidung nach Ravensbrück gekommen. Unser Block musste sich zu einem Appell aufstellen und zu fünft an einen Tisch, an dem einige Zivilisten gemeinsam mit SS-Männern saßen, herankommen. Sie haben sich uns angesehen, unsere Hände und Beine, wie auf einem Sklavenmarkt. Hier muss ich erwähnen, dass ich von uns Dreien am magersten aussah. Dann haben sie manche von unseren Nummern auf eine Liste eingetragen. Wir wussten es nicht, wofür das Ganze war, ob es sich um einen Transport ins Unbekannte oder um eine Erschießung handelte. Man hat die Nummern von allen meinen Freundinnen aufgeschrieben, nur nicht die meine. Ich war ganz verzweifelt, weil ich gedacht habe, dass sie uns trennen werden. In dieser Verzweiflung habe ich meine Angst überwunden und ich habe mit meinem nicht gerade dem besten Deutsch gemeldet, dass ich ums Eintragen meiner Nummer auf diese Liste bitte, weil ich das Schicksal meiner Freundinnen teilen will. Er hat auf mich geschaut und hat nichts gesagt. Ich habe aber gesehen, dass er meine Nummer auf diese Liste eingetragen hat. Ich überlegte schon häufiger, was ihn in diesem Moment lenkte. Mir war dem Weinen nach vor Glück, dass ich von meinen Freundinnen nicht getrennt wurde. Es hat sich nach ein Paar Tagen ergeben, dass diese ca. 300 Frauen, deren Nummern man damals aufgeschrieben hatte, zu einem Lager in Neuengamme (einem Nebenlager des Lagers in Bad Salzgitter) zur Arbeit in einer Munitionsfabrik geschickt wurden. Wir haben da an den Maschinen sehr schwer gearbeitet.
Anfang April 1945 wurden wir evakuiert. Man hat uns in unbedeckte Viehwagons gepackt. Der ganze Transport setzte sich aus Häftlingen zusammen, die aus unterschiedlichen Konzentrationslagern kamen. Der Zug ist am Bahnhof in Celle angehalten. In dieser Zeit sind wir von der Alliiertenluftwaffe bombardiert worden. Nach den Angaben des deutschen Historikers M. Bertram, zählte dieser Transport ca. 4000 Häftlinge und nach der Bombardierung sind nur noch ca. 1100 am Leben geblieben. Die SS-Männer haben dann die Überlebenden nach KL Bergen-Belsen über 3 Tage zu Fuß getrieben, ohne denen was zum Essen und Trinken zu geben. Jeder, der weiter zu gehen nicht mehr in der Lage war oder der langsam war, wurde erschossen. Ich war schon so schwach und müde, dass es mir ganz egal war, ob sie mir das Leben nehmen. Hier muss ich betonen, dass meine Freundinnen (obwohl sie selbst auch am Ende der Kräfte waren) haben mich zu dem weiteren Weg angespornt. Ich habe es geschafft. Am 15 April 1945 haben uns die Engländer befreit.
Unsere Freundschaft hat die Zeitprobe überstanden.
Ihr fragt, wie unser Leben in Freiheit weitergelaufen ist. Direkt nach dem Kriegsende habe ich versucht diese Zeit, die ich im Lager verbracht hatte, aus dem Gedächtnis zu löschen. Ich habe darüber nicht gesprochen und daran nicht gedacht. Im Albtraum sind aber diese Ungeheuerlichkeiten schon öfters zu mir zurückgekehrt. Nach dem Aufwachen war ich dann immer wieder froh, dass es schon alles vorbei ist. Ich war auch froh, dass meine Kinder eine bessere, glücklichere Kindheit haben und dass sie sich mit den Erinnerungen, den Grausamkeiten des Krieges nicht auseinandersetzen müssen.
Erst nach den vielen Jahren, als die alten Dämonen des Rassismus, der Intoleranz und des Antisemitismus wiederauflebten, wurde es mir klar, dass man darüber weiter nicht schweigen darf. Wir müssen daran erinnern, es soll all den verschiedenen Revisionisten und dem wiedererweckenden Rassismus eine Warnung sein. Es muss klar gemacht werden, dass die Zeugen der grausamen Zeiten immer noch am Leben sind und dass sich die Vergangenheit nie wieder wiederholen darf.
Am Anfang des dritten Jahrtausends, wenn sich das alte Europa wiedervereinigt, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden, wenn dank der modernen Kommunikationsmittel die Entfernungen immer kleiner werden, möchte ich Euch, den jungen Menschen sagen:
Begegnet Euch, um euch gegenseitig besser kennen zu lernen, sprecht miteinander, um sich besser verstehen zu können, lernt Euch einander und die anderen Menschen zu achten, auch wenn ihr Äußerliches und ihre Denkensweise anders als Eure sind. Tut das alles dafür, dass ihr das Drama unserer Generation nicht erleben müsst.
In einer Kirche in Niepokalanow (ein Wallfahrtsort in der Nähe von Warschau) haben die Überlebenden eine Gedenktafel als Andenken an den Heiligen Maximilian Kolbe und an all die anderen Menschen, die in Jahren 1939 – 1945 in den KZs ihr Leben verloren haben, spendiert. Die Worte möchte ich hier zum Schluss zitieren:
„Um Andenken
nicht um Rache
ersuchen unsere Schatten,
Unser Schicksal soll für Euch
eine Warnung,
nicht eine Legende sein.
Wenn die Menschen verstummen,
werden die Steine rufen.“
Mit herzlichen Grüssen,
Stefania Bajer
Übs. Anka Bibrzycka