Posen, den 28.2.2005
An das Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim
In Antwort auf den Brief vom 18.1. des laufendes Jahres und zu dem Thema Stellung nehmend, wollen wir das, was geschehen ist, nicht vergessen. Zum 60. Jahrestag der Lagerbefreiung möchte ich Ihnen meine Bemerkungen und Ansichten dazu mitteilen.
Ich bin ein Häftling, der über 67 Monate in hitlerischen Gefängnissen und Konzentrationslager verbracht hat. Wegen meiner Beteiligung an der Verteidigung des Landes wurde ich Mitte September 1939 verhaftet. Ich war zum Ordnungsdienst berufen und danach, als Gymnasiast, in Rahmen der Pflichtschulung der sog. P.W. (przysposobienie wojskowe – militärische Ausbildung) in ein Selbstverteidigungskommando eingegliedert worden. Dies war die Ursache meiner Verhaftung und Festsetzung in unterschiedlichein Gefängnissen und Konzentrationslager. Ich habe dort verschiedene Demütigungen und Erniedrigungen der Menschenwürde erlitten, zu den ich aber in meinen Gedanken ungern zurückkehre, weil der Albtraum der Erlebnisse mir keine Ruhe lässt.
Während meines langen Aufenthaltes gab es unterschiedlichen Perioden, während denen ich keine Lebenslust mehr hatte. Der starke Glaube und das Vertrauen auf Gott, und vor allem auf den Schutz der Gottesmutter, haben mir die Überlebenskraft gegeben. Sie haben mir auch den Willen gegeben, bis zur Freiheit auszuharren. Weitere Faktoren, die mir geholfen haben, waren meine Deutschkenntnisse, und dass ich damals jung, gesund und durchtrainiert war.
In dem fast fünfjährigen Zeitraum habe ich mich in verschiedenen Situationen befunden, weil ich in vielen Gefängnissen und in vielen Lagern, in verschiedenen Umständen und in unterschiedlicher Umgebung von Menschen und Orten gewesen bin. Ich kehre zu diesen Zeiten ungern zurück, aber heutzutage, nachdem ich darüber genau nachgedacht habe, finde ich es sehr wichtig, der jungen Generation einige von den Reflexionen und Erfahrungen des II. Weltkrieges weiterzugeben.
Es ist mir klar, dass Geschichte von Menschen gestaltet wird und je nach dem, wer sie macht und wem sie dient, so wird sie auch interpretiert und vorgestellt.
Ich halte es für richtig, dass die noch lebenden Zeitzeugen die Möglichkeit haben, die tatsächliche Geschichte den Jugendlichen weiterzugeben. Es sind nicht mehr so viele von uns Zeitzeugen am Leben geblieben, die noch etwas erzählen können. Erst seit paar Jahren dürfen wir davon erzählen, weil es vorher ein Tabuthema war. Ich hatte die Möglichkeit, mich mit polnischen und deutschen Jugendlichen zu treffen. An mir zehren unterschiedliche Gefühle. Eins kann ich sagen – alles hängt von dem Mensch ab.
Durch die Sozial-, Wirtschafts- und Staatspolitik gestalten Menschen ihre Existenz und ihr Leben. Die letzten Jahre haben uns unmissverständliche Beispiele dafür gegeben. Mit Rassismus, Gewalt, Fanatismus erreicht man nichts Gutes. Deswegen ist es wichtig, über die Vergangenheit nachzudenken, weil es die beste Lebenslehre ist. Um das noch Mal nicht erleben zu müssen, muss man in die Geschichte zurückgreifen. Man muss daran denken, wer in die Vergangenheit nicht zurückkehrt, der ist zu Unrechterfahrung und Erniedrigung der Menschenwürde verurteilt. Für die, die noch am Leben sind und sich an diese Zeiten noch erinnern können, ist es wichtig, die wahre Geschichte, angemessen den Kräften, weiterzugeben, denn von manchen Leuten werden die geschichtlichen Tatsachen ziemlich oft verfälscht.
Heute, nach 60 Jahren ist das Interesse an der Geschichte des II. Weltkrieges ein wenig gestiegen.
Das zeugt davon, dass sich die Weltgesellschaft auf gegenseitige Verständigung sowie religiöse und nationale Toleranz richtet. Es ist der einzige Weg, der zur Versöhnung der Nationen führen kann. Es ist das Gebot der Zeit und der Zukunft, damit wir in Ruhe, ohne Hass, Arroganz und in gegenseitiger Achtung leben können.
Wir müssen uns alle gemeinsam an die Vergangenheit erinnern und nach Liebe und Freundschaft streben, was ich, der langjährige Häftling, allen Menschen der guten Willens wünsche.
Norbert Widok
Polnischer Verband ehemaliger politischer Häftlinge hitlerischer Gefängnisse und Konzentrationslager – Posen
Wiry, Polen
Übersetzt von Anka Bibrzycka