Gebetsweg des Internationalen Rates von Christen und Juden (ICCJ)

entlang der Rampe in Auschwitz-Birkenau.

5. Juli 2011

EINFÜHRUNG
(Gleich hinter dem Tor)

Wir treffen wir uns nun hier, um der Opfer zu gedenken, Männer, Frauen und Kinder, die hier gequält und ermordet wurden, und um unsere Verpflichtung zu bestätigen, für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung zu arbeiten.
Unser Weg entlang der Rampe in Birkenau, vom Eingangstor in das Lager bis zu den Ruinen der Gaskammern und Krematorien, folgt dem letzten Weg der meisten Opfer von Auschwitz.
Wir werden unterwegs vier Stationen machen und mit einer stillen Zeremonie am Mahnmal enden.

STATION 1 – Die Gerechten
(Am gleichen Ort)

Die Opfer haben ihre ganze Welt zurückgelassen, die Familie, Freunde, Nachbarn. Viele von ihnen sind ebenso verfolgt und ermordet worden, insbesondere alle Juden.
Außerhalb des Lagers waren die Täter, die die Entscheidungen gefällt und die Opfer gesucht, verhaftet und hierher gebracht haben.
Die Meisten taten nichts, manchmal aus Angst und Hilflosigkeit, manchmal mangels Interesse, manchmal in stiller Zustimmung.
Aber andere draußen versuchten zu helfen und haben dabei oft ihr Leben riskiert. Lasst uns einen Blick auf die heldenhaften Gerechten werfen und auf die Täter. Sie repräsentieren das Beste und das Schlechteste, zu dem Menschen fähig sind.

Im Gedenken an die Gerechten nehmen wir ein Beispiel von hier, aus Oświęcim/Auschwitz. Merka Szewach, ein jüdischer weiblicher Häftling, erinnert sich:

Janek lernte ich im B-Lager in Birkenau kennen, im tschechischen Lager, wie man es nannte. Ich war damals in einem sehr schlechten Zustand, unendlich ausgehungert, krank, erschüttert von den schrecklichen Zuständen, ohne jede Hoffnung auf irgendeine Hilfe oder Rettung aus dieser unmenschlichen Situation. Ich kam nach Auschwitz und hatte schon das Ghetto in Białystok hinter mir, den Transport nach Treblinka, der dort wegen eines Häftlingsaufstandes nicht ankam. Er wurde nach Majdanek umgeleitet, von dort nach Bliżyn bei Skarżysko. Nach zwei Jahren Wanderungen und Leiden kam ich nach Auschwitz.
Janek arbeitete im Lager als Elektriker, zusammen mit zwei weiteren polnischen Arbeitern. Er war damals ca. 22 Jahre alt. Er interessierte sich für mein tragisches Schicksal, war voller Mitgefühl und wollte mir helfen. Er wohnte mit seinen Eltern in Oświęcim. Wir waren vier Freundinnen, die Lagerschwestern Lubka, Jetka, Liska und ich, Merka. In dieser schrecklichen Wirklichkeit jeglicher Würde beraubt, ohne Angehörige, versuchten wir alles zu teilen, uns gegenseitig Mut zuzusprechen. Janek war bis ins Mark über unser Schicksal erschüttert, brachte uns Essen, Zigaretten, die wir gegen Brot eintauschen konnten, auch Kleidung, brachte mir sogar hohe Stiefel mit, alles […] unter großer Gefahr. Nie vergesse ich, wie Janek Hefe reinschmuggelte, die im Lager als Mittel gegen Geschwüre, […] und Hautkrankheiten eingesetzt wurde, und die Lubka retteten, denn sie reinigte ihre Wunden von Eiter, und sie überstand so die nächste Selektion. […] Janek, mit dem ich mich auf diesem «Anderen Planeten» angefreundet hatte, bereitete sogar mit dem Einverständnis seiner Eltern eine Flucht für mich vor. Aber in dieser Zeit kamen wir in Birkenau in ein anderes Lager […], zu dem er keinen Zutritt hatte, und so verloren wir uns aus den Augen.
Nach dem Krieg versuchte ich ihn zu finden, eine Spur von ihm zu entdecken, ihm dafür zu danken, dass er im «Zeitalter der Verachtung» das Examen der Menschlichkeit bestanden hatte, dass er sein Leben eingesetzt, dass er mir Herzlichkeit, Verständnis und uneigennützige Hilfe erwiesen hatte. Leider ergebnislos, und ich konnte ihm niemals sagen, wie sehr ich seinen Mut geschätzt habe, der doch so viel zu meinem Überleben beitrug.”[1]

Ein jüdisches Gebet für die Gerechten

אב הרחמ’ם
אב הרחמ’ם שוכן מרומ’ם ברחמ’ם. ברחמ’ו  העצומ’ם הוא “פקוד ברחמ’מ היס’ד’מ והשר’מ והתמ’מ’ם. קהלות
הקדש שמסרו נפשם על קדשת השם. הנאהב’ם והנע’מ’ם בח“הם ובמותם לא נפרד. מנשר’ם קלו
ומאר’ות גברו לעשות רצון קונם וחפץ צורם. ‚זכרם אלה’מו לטובה עם שאר צד’ק‘ עולם .

Vater des Erbarmens, der in den Himmeln wohnt, gedenke im mächtigen Mitgefühl der Liebenden, Aufrichtigen und Untadeligen, der heiligen Gemeinde, die ihr Leben gegeben haben für die Heiligung des Göttlichen Namens, die liebend und angenehm in ihrem Leben waren und in ihrem Tod nicht getrennt wurden, die schneller als Adler, stärker als Löwen den Wunsch ihres Meisters und das Ersehnte ihres Felsens getan haben. Möge unser Gott ihrer gut gedenken mit allen Gerechten der Welt.
Mögen wir von dem inspirierenden Beispiel der Gerechten unter den Völkern lernen und sie als unsere Vorbilder sehen, um ein heiliges Leben zu führen. Wir beten darum, dass unser Mut und unsere Standfestigkeit nie so geprüft werden, wie die ihren es wurden, aber wenn wir geprüft werden, mögen wir uns als ihrem Andenken würdig erweisen.
Mögen alle ihre Seelen in der Verheißung des ewigen Lebens verbunden sein, und lasst uns sagen: Amen.

STATION 2 – Die Täter
(Unter dem ersten Wachturm)

Wir müssen auch an die Täter denken.
Eine Polin, Elżbieta Piotrowska, hat ein Gedicht geschrieben mit dem Titel ‚Das Verhör‘:

Wer hat Euch Kinder ermordet?
– Menschen!
Was für Menschen waren das? Haben sie Gesichter von Gespenstern gehabt? Haben sie tierische Augen gehabt?
– Das waren gewöhnliche Menschen, Menschen wie andere, mit menschlichen Augen und Zähnen.
Vielleicht hat sie ein Vulkan geboren? Vielleicht haben sie keine Mütter gehabt?
– Menschliche Mütter haben diese Menschen geboren.
Haben sie keine Kinder gehabt?
– Ja, sie haben. Sie haben an sie Briefe geschrieben. Sie haben an sie kleine Schuhe in Paketen geschickt.
Wie haben die Menschen Euch getötet?
– Sie haben mit Gas erstickt, ins Feuer gesteckt, an der Mauer zerschlagen, mit dem Schuh zertreten; und wenn sie gut waren, erschossen sie.
Und als sie Euch getötet hatten, was haben sie dann gemacht?
– Sie haben sich mit weißen Tüchern den Schweiß von der Stirn gewischt und gesagt: «Haben wir heute viel gearbeitet! Die Arbeit war anstrengend. So viele kleine Kinder!»“ [2]

Zeugnis eines deutschen Teilnehmers:
Wer waren diese Menschen, die all ihre Menschlichkeit verloren hatten? Sie waren aus Deutschland. Ich bin aus Deutschland. Die meisten von ihnen waren getauft. Ich bin ein katholischer Priester. Ich bin nicht persönlich schuldig, ich bin nach dem Krieg geboren, aber ich bin sehr traurig über das, was passiert ist, und dass mein Volk das getan hat. Ich fühle die tiefen Wunden, die anderen angetan wurden, Ihnen und Ihren Familien, und den Beziehungen zwischen uns und unseren Völkern, und es tut mir sehr, sehr leid. Tief in meinem Herzen hoffe ich und darum möchte ich bitten, dass eine erneuerte menschliche, freundschaftliche, vertrauensvolle und liebevolle Beziehung möglich ist.
Ich habe einmal Halina Birenbaum gefragt, eine als Kind Überlebende von Majdanek und Auschwitz, was sie bei einer solchen Gelegenheit würde sagen wollen. Sie empfahl mir den folgenden Text, der in einem deutschen Konzentrationslager gefunden wurde:

Frieden sei allen Menschen schlechten Willens! Möge die Rache aufhören… die Verbrechen haben alle Masse überschritten. Es gibt zu viele Märtyrer… Herr, wiege ihre Leiden nicht mit den Gewichten Deiner Gerechtigkeit, belaste die Henker nicht mit diesen Leiden und zwinge sie nicht diese furchtbare Rechnung zu zahlen. Sie sollte auf eine andere Weise bezahlt werden. Schreib auf das Konto der Verbrecher, Zuträger, Verräter und aller Menschen schlechten Willens den Mut der anderen, ihre geistige Kraft, Demut, Würde, ihren beharrlichen inneren Kampf und ungebrochene Hoffnung, das Tränen trocknende Lächeln, die Liebe, ihre zerbrochenen Herzen, die stark und vertrauensvoll durchhalten, sogar dem Tod gegenüber, sogar in Momenten größter Schwäche… Möge das alles vor Dich gebracht werden, Herr, für die Vergebung der Sünder, als Lösegeld für den Sieg der Gerechtigkeit; möge das Gute zählen, nicht das Böse! Mögen wir in der Erinnerung unserer Feinde bleiben, aber nicht als Opfer, nicht als Albträume, Gespenster, die ihnen nachfolgen, sondern als diejenigen, die ihnen helfen, ihre verbrecherischen Leidenschaften zu besiegen. Mehr wollen wir nicht von ihnen. Und wenn das alles zu Ende geht, lass uns leben, als Menschen unter Menschen, und möge der Frieden auf unsere arme Erde zurückkehren – Frieden für Menschen guten Willens und für alle anderen…” [3]

Gebet: Stille.

STATION 3 – Die Häftlinge
(Mitte der Rampe – Ort von Selektionen)

Wir wollen hier an alle Häftlinge des Lagers Auschwitz und seiner Nebenlager denken.
Seit 1940 wurden ungefähr 400.000 registrierte Häftlinge in die Lager des KL Auschwitz gesperrt.
Von Anfang an wurden Polen hierhin geschickt: Soldaten, Widerständler und nationale Führungspersonen, darunter 400 Priester und geistliche Personen. Von den 150.000 Polen kam die Hälfte in den Lagern ums Leben.
Seit 1941 kamen etwa 15.000 sowjetische Kriegsgefangene, die fast alle starben.
Seit 1943 kamen etwa 23.000 sogenannte Zigeuner, Sinti und Roma; 21.000 starben.
Viele andere wurden nach Auschwitz deportiert, nicht jüdische Gruppen aus verschiedenen Ländern, meistens aus dem politischen Widerstand, aber auch Zeugen Jehovas und Homosexuelle.
Seit 1942 kamen Transporte mit Juden aus ganz Europa. Während die meisten direkt in die Gaskammern geschickt wurden, wurden junge und starke zum Arbeiten herausgesucht. Ungefähr 200.000 Juden wurden in die Lager geschickt, wo die Hälfte ums Leben kam.

Primo Levi, ein Überlebender, erinnerte sich:
Es gibt nichts, worin wir uns spiegeln könnten, und doch haben wir unser Ebenbild vor Augen, es bietet sich uns in hundert leichenblassen Gesichtern dar, in hundert elenden und schmierigen Gliederpuppen. So sind wir nun in ebensolche Gespenster verwandelt, wie wir sie gestern Abend gesehen haben.
Da merken wir zum ersten Mal, dass unsere Sprach keine Worte hat, diese Schmach zu äußern, dieses Vernichten eines Menschen. In einem einzigen Augenblick und mit prophetischer Schau enthüllt sich uns die Wahrheit: Wir sind in der Tiefe angekommen. Noch tiefer geht es nicht; ein noch erbärmlicheres Menschendasein gibt es nicht, ist nicht mehr denkbar. Und nichts ist mehr unser: Man hat uns die Kleidung, die Schuhe und selbst die Haare genommen; werden wir reden, so wird man uns nicht anhören, und wird man uns auch anhören, so wird man uns nicht verstehen. Auch den Namen wird man uns nehmen; wollen wir ihn bewahren, so müssen wir in uns selber die Kraft dazu finden, müssen dafür Sorge tragen, dass über den Namen hinaus etwas verbleibe, von dem, wie wir einmal gewesen.“ [4]

Auschwitz war nicht nur ein Ort besiegter Menschlichkeit. Im Jahr 1979 hat Papst Johannes Paul II hier gesagt:
An diesem Ort schrecklicher Qual, die vier Millionen Menschen verschiedener Nationen den Tod brachte, hat Pater Maximilian einen geistigen Sieg errungen, der dem Sieg Christi ähnlich ist, indem er freiwillig den Tod im Hungerbunker auf sich nahm – für einen Bruder. […] Wie viele Siege wurden hier errungen? Sie wurden errungen von Menschen verschiedener Bekenntnisse, verschiedener Ideologien, und sicher nicht nur von Gläubigen. Ich möchte mich mit dem Gefühl tiefster Verehrung jedem dieser Siege zuwenden, jeder Erscheinung von Menschlichkeit, die ein Widerspruch zu dem System war, das systematisch der Menschlichkeit widersprach.

Christliches Gebet:
Jemand hat einmal gesagt, dieses Gebet hätte in einem Konzentrationslager entstehen können:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name,
Dein Reich komme,
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,
und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Amen.

Von hier gehen wir den Weg weiter, den die Meisten Opfer von Auschwitz gegangen sind, die nicht einmal Häftlinge wurden, die direkt von den Zugwagons zu den Gaskammern geführt wurden. Wir gehen schweigend.

STATION 4 – Die Schoah
(Zwischen den Krematorien)

Die meisten Opfer von Auschwitz wurden nie Häftlinge im Lager. Ungefähr 900.000 Juden wurden direkt zu den Gaskammern gebracht und dort ermordet, unter ihnen Edith und Rosa Stein. Dann wurden ihre Körper, wie die Körper aller anderen Gefangenen, verbrannt und ihre Asche weggeworfen. Das wurde das Symbol für die Schoah; das war die Schoah.

Aus den nach dem Krieg gefundenen Aufzeichnungen von Salmen Levental, einem Mitglied des Sonderkommandos, das an den Krematorien arbeiten musste:
Unglück. Solche Gefühle nagten an jedem von uns. Solche Gedanken kamen jedem von uns in den Sinn. Wir schämten uns einer vor dem Andern und wagten nicht, uns in die Augen zu schauen. Mit vor Schmerz, vor Scham, vor Weinen und Jammern geschwollenen Augen drückte sich jeder in eine Ecke, um die Begegnung mit einem anderen zu vermeiden.“
Einmal, als mehrere hundert nackte, ausgemergelte Frauen bei Frost vor dem Krematorium von Lastwagen geschüttet wurden:
Einer von uns, der auf der Seite stand und auf das ungeheure Unglück dieser wehrlosen, zu Tode gequälten Seelen schaute, konnte sich nicht beherrschen und fing an zu weinen. Ein junges Mädchen rief da aus: «Schaut, was ich noch vor meinem Tod erlebe: einen Ausdruck von Mitleid und Tränen, vergossen über unser schreckliches Schicksal. Hier im Lager der Mörder, wo man plagt und schlägt und wo man zu Tode quält, wo man Morde sieht und fallende Opfer, hier, wo die Menschen das Gefühl für größtes Unglück verloren haben, hier, wo jegliche menschlichen Gefühle abstumpften, hier, wo du, wenn dein Bruder oder deine Schwester vor deinen Augen fällt, du ihnen nicht einmal einen Abschiedsseufzer gewähren kannst, hat sich noch ein Mensch gefunden, der sich unser furchtbares Unglück zu Herzen nimmt und sein Mitleid durch Weinen ausdrückt. Ach, etwas Wunderbares, etwas Übernatürliches. Tränen und Seufzer eines lebendigen [Menschen] begleiten uns zum Tod, es gibt noch jemanden, der uns beweinen wird.»“ [5]

Jüdische Gebete

EL MALE RACHAMIM
Zum Andenken an die Opfer des Holocaust

אֵל מָלֵא רַחֲמִים שׁוֹכֵן בַּמְּרוֹמִים, הַמְצֵא מְנוּחָה נְכוֹנָה תַּחַת כַּנְפֵי הַשְּׁכִינָה, בְּמַעֲלוֹת קְדוֹשִׁים
וּטְהוֹרִים כְּזוֹהַר הָרָקִיע מַזְהִירִים, לְנִשְׁמוֹת שֵׁשֶׁת מִילְיוֹנֵי הַיְּהוּדִים, חַלְלֵי הַשּׁוֹאָה בְּאֵירוֹפָּה, אֲנָשִׁים נָשִׁים וָטַף, שֶׁנִּטְבְּחוּ, וְשֶׁנֶחְנְקוּ, וְשֶׁנִּשְׂרְפוּ וְשֶׁנֶּהֶרְגוּ עַל קִידוּש הַשֶם בְּאוֹשְוִיץ… בִּידֵי הַמְרַצְּחִים הַגֶּרְמָנִים וְעוֹזְרֵיהֶם מִשְּׁאָר הָעַמִּים. בַּעַבוּר שֶׁאַנוּ מִתְּפַּלְלִים לְעִילוּי נִשְׁמוֹתֵיהֶם.  לָכֵן בַּעַל הָרַחֲמִים יַסְתִּירֵם בְּסֵתֶר כְּנָפָיו לְעוֹלָמִים,  וְיִצְרוֹר בִּצְרוֹר הַחַיִּים אֶת נִשְׁמוֹתֵיהֶם, ה‘ הוּא נַחֲלָתָם, בְּגַן עֵדֶן תְּהֵא מְנוּחָתָם , וְיָנוּחוּ בְשָׁלוֹם עַל פְּזוּרֵי  מִשְׁכּבָם, וְיַעֶמְדוּ לְגוֹרָלָם לְקֵץ הַיָּמִין ,וְנֹאמַר אָמֵן

G’tt voller Erbarmen, in den Himmelshöhen thronend, es sollen finden die verdiente Ruhestätte unter den Flügeln Deiner Gegenwart, in den Höhen der Gerechten und Heiligen, strahlend wie der Glanz des Himmels, all die Seelen der Sechs-Millionen Juden, Opfer der Shoah in Europa, ermordet, geschlachtet, verbrannt, umgekommen in Heiligung Deines Namens; in Auschwitz und anderen Orten durch die Hände der deutschen Mörder und ihrer Helfer.
Sieh wir beten für das Aufsteigen ihrer Seelen, so berge sie doch Du, Herr des Erbarmens, im Schutze deiner Fittiche in Ewigkeit und schließe ihre Seelen mit ein in das Band des ewigen Lebens. G’tt sei ihr Erbbesitz, und im Garten Eden ihre Ruhestätte, und sie mögen ruhen an ihrer Lagerstätte in Frieden. Und sie mögen wieder erstehen zu ihrer Bestimmung am Ende der Tage. Und wir sagen: Amen.

KADDISCH

יתגדל ויתקדש במרחבי הבריאה כולה השם הגדול, שבתשוקת רצונו בורא עולמו – עכשיו!
תהא הנוכחות העצומה הזו מדריכה את חיינו, כל ימינו, ואת חיי העולם כולו – ואמרו אמן.
מבעד לממדי הזמן והמרחב ברכו, ברכו את השם הגדול הזה!
אף כי אנו מברכים, משבחים, מפארים ומנשאים אלעל את שמך הקדוש
עדיין, תמיד, תשאר מעל ומעבר לכל ברכה ותהילה
מעל ומעבר לכל תפיסה ומחשבה, מעל ומעבר לשפה עצמה – ועל כך נאמר – אמן!
שלום גדול וחיים טובים יוולדו מן השם הקדוש, לנו ולכל היצורים החיים כולם – ונאמר אמן!
האחדות הגדולה היוצרת יקום של שלום תעשה שלום עלינו
ועל כל יושבי תבל – ונאמר אמן!

Möge der große Name, dessen Begehren das Universum gebar, in der Schöpfung widerhallen. Jetzt. Möge diese große Gegenwart euer Leben und euren Tag lenken und alles Leben unserer Welt.
Und sagt: Ja. Amen
Segen, Segen diesem großen Namen. Jetzt und immer. So segnen und loben wir Deinen Namen, preisen und erheben ihn. Dein Name: Heiliger, Gesegneter. Du gehst weit über unser Lob, unser Lied hinaus, lässt alle Worte, mit denen wir uns helfen, weit hinter Dir.
Und sagt: Ja. Amen.
Lasst Gottes Namen großen Frieden und großes Leben gebären. Für uns und alle.
Und sagt: Ja. Amen.
Der, der ein Universum des Friedens geschenkt hat, schenke uns Frieden, uns allen, das heißt: Israel.
Und sagt: Ja. Amen.

SCHLUSSZEREMONIE
(Vor dem Mahnmal)

Wir sind heute gemeinsam hier, aus verschiedenen Kontexten, aber vereint in unserer Erinnerung an die Opfer und im Bewusstsein der Verpflichtung, uns für eine bessere Zukunft zu engagieren, in der wir als Brüder und Schwestern zusammen leben können.
Als Zeichen unseres Gedenkens, unseres Gebetes und unseres Engagements bringen wir jetzt in Stille Kerzen zum Mahnmal.

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[1] Brief einer Jüdin aus Polen, Merka Szewach (später Miriam Jahav), ehemaliger weiblicher Häftling Nr. A15755. Quelle: APMAB, Aussagen, Bd. 160, Bl. 70-72. Veröffentlicht in: Menschen guten Willens. Henryk Świebowski (Hg.), Verlag der Staatl. Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Oświęcim 2011, S. 547-548.
[2] Elżbieta Piotrowska, Przesłuchanie, [in:] Na mojej ziemi był Oświęcim. Oświęcim w poezji współczesnej, Oświęcim 1993, s. 286–287. Übersetzt von Manfred Deselaers
[3] Gebet eines Häftlings mit unbekanntem Namen. Ein in Archiven eines der deutschen Lager gefundener Text, geschrieben von einem Häftling, publiziert in „La Croix“ 10.10.1989, s.11. Übersetzt von Manfred Deselaers
[4] Primo Levi, Ist das ein Mensch? Deutsch von Heinz Riedt. dtv München 1992, S. 27f.
[5] Handschriften von Mitgliedern des Sonderkommandos. Hefte von Auschwitz, Sonderheft I, Oświęcim 1972, S. 145 u. 153.