+ Zofia Posmysz-Piasecka (23.08.1923 – 8.08.2022)

(Foto: Paweł Sawicki / Wikipedia)

Wir sind traurig, Ihnen mitteilen zu müssen, dass am Montag, dem 8. August 2022, Zofia Posmysz-Piasecka, Schriftstellerin und Drehbuchautorin, ehemaliger Häftling der deutschen Lager Auschwitz, Ravensbrück und Neustadt-Glewe, und Trägerin der höchsten polnischen Auszeichnung, des Ordens vom Weißen Adler, im Hospiz in Oświęcim verstorben ist. Sie war eng mit dem Zentrum für Dialog und Gebet in Oświęcim verbunden.

Gewähre ihr ewige Ruhe, o Herr, und ewiges Licht leuchte ihr. Möge sie ruhen in Frieden. Amen.

Predigt bei der Beerdigung am 18.08.2022, Manfred Deselaers:

Liebe Verehrer und Verehrerinnen, Freundinnen und Freunde von Zofia Posmysz!

Zofia wurde am 23. August 1923 in Krakau geboren und starb am 8. August 2022 im Oświęcim Hospiz. Sie wurde fast 99 Jahre alt.

Als der Krieg ausbrach, war sie Schülerin an einer Gewerbeschule. Dann nahm sie an geheimen Versammlungen teil, was höchstwahrscheinlich der Grund für ihre Verhaftung am 15. April 1942 war. Am 30. Mai wurde sie in das deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht. Am 2. Mai 1945 erlebte sie in Neustadt -Glewe ihre Befreiung. Nach dem Krieg kehrte sie nach Polen zurück und arbeitete für den Polnischen Rundfunk. Im Laufe der Jahre schrieb sie mehrere Werke über ihre Lagererfahrungen. Bis in die letzten Jahre ihres Lebens gab sie Zeugnis und traf sich unter anderem mit deutschen Jugendlichen.

So viel zur Biographie …

Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich als deutscher Priester heute ein paar Worte sagen darf.

Die Lesungen, die wir gehört haben ( Ez 36,23-28 und Mt 22,1-14) stammen aus der heutigen Liturgie, wie sie uns die Vorsehung gegeben hat.

Der für mich wichtigste Satz stammt aus dem Buch des Propheten Ezechiel: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch.“

Und Jesus erzählt uns heute von Gottes Einladung zum Fest der Liebe, sowie von unseren verhärteten Herzen, mit denen wir angeblich Wichtigeres zu tun haben.

Zofia, eine junge Frau mit einem sensiblen Herzen aus Fleisch, wurde in die brutale Welt des Lagers geworfen, von Menschen mit Herzen aus Stein gebaut. Sie hat überlebt, mit einem verwundeten, aber auch mit einem starken Herzen. Es ist möglich, ein Herz aus Fleisch zu haben, das verwundet ist, aber stark.

Nach der äußeren Befreiung, als sich das Leben wieder normalisierte, blieb jedoch die Erinnerung an Auschwitz im Unterbewusstsein, weil sie sich in das Herz eingebrannt hat.

Eines Tages, wenn ich mich richtig erinnere, was Zofia sagte, „war ich auf dem Place de la Concorde in Paris und ich hörte eine deutsche Stimme, die mich an die Stimme meiner Lageraufseherin erinnerte. Ich drehte mich um, aber es war eine andere Person.“

Von diesem Moment an fragte sie sich jedoch, was passieren würde, wenn sie sie heute wirklich treffen würde.

Deshalb schrieb sie das Drehbuch für die Radiosendung „Die Passagierin aus Kabine 54“, über ihre Begegnung auf einem Kreuzfahrtschiff, auf dem man nicht entkommen kann. Es ging nicht nur um die Flucht der ehemaligen Aufseherin, sondern auch um ihre. Zofia wollte nicht vor der schwierigen, schmerzhaften Erinnerung davonlaufen. Sie stellte sich ihr. Das bedeutet ein starkes Herz. Auf dieser Grundlage entstanden dann ein Film, ein Buch und schließlich die Oper „Die Passagierin“.

Ich war 2010 bei der polnischen Erstaufführung der Oper Passagierin“ im Grand Theatre in Warschau. Wahrscheinlich erinnern sich einige der Anwesenden auch an diese Premiere. Es gab ein geniales Bühnenbild: ein Kreuzfahrtschiff auf der Bühne – die Höhe der Balustrade auf halber Höhe der Bühne, dahinter das Leben der Touristen, Gespräche beim Kaffee, Tänze … mit der Zeit, bei Treffen und Gesprächen, kehrte die Erinnerung an das Lagerleben aus dem Unterbewusstsein zurück.

Die Schiffswand unter der Balustrade bewegte sich auf der Bühne und wir sahen die Gefangenen – wir waren im Lager. Der Schornstein des Kreuzfahrtschiffes war plötzlich der Schornstein der Lagerkrematorien. Hier spielten sich Situationen aus dem Lagerleben ab, an die sich die Protagonistin erinnerte.

Irgendwann bekam sie einen Job als Buchhalterin in der Küche des Frauenlagers. Damals wurde ein Häftling aus dem Männerlager, der eine ähnliche Arbeit in der dortigen Küche hatte, geschickt, um ihr Buchhaltung beizubringen. Beim dritten und letzten Treffen legte er ihr heimlich eine Medaille in die Hand, auf deren einer Seite das Antlitz Christi und auf der anderen Seite die Inschrift „Oświęcim“ von Stacheldraht umgeben, war. Und er sagte, dass sie in schweren Zeiten in dieses Gesicht anschauen und dabei denken solle: „Dein Wille geschehe!“

Diese Begegnungen, dieser „Christus von Auschwitz“ waren für sie ein Licht in der Dunkelheit und veränderten ihr Leben innerlich, sie stärkten ihr Herz durch die Kraft der Liebe, der Liebe von Tadeusz und der Liebe Christi. Mit dieser Kraft und mit dieser Medaille hat sie das Lager überstanden und diese Erinnerung an die Lagerliebe und die Medaille „Christus von Auschwitz“ haben Kraft gegeben und Zofia bis an ihr Lebensende begleitet.

Doch trotz des Lichts im Dunkeln blieb die Realität des Lagers schrecklich. Tadeusz Paolone Lisowski wurde am 11. Oktober 1943 erschossen.

Als die Oper endete, erinnere ich mich, begann der Applaus sehr langsam und schüchtern. Wie kann man der Tragödie von Auschwitz Beifall spenden? Aber dennoch war den hervorragenden Schauspielern für ihren großartigen Einsatz zu danken. Langsam gab es mehr Applaus.

Dann kam Zofia Posmysz auf die Bühne. Ich werde das nie vergessen. So etwas habe ich bis heute noch nie erlebt. Alle standen auf und der Applaus wollte nicht enden, mir schien, er dauerte 20 Minuten.

Sie hatte Auschwitz besiegt. Die „Passagierin“ und gewissermaßen ihr gesamtes Nachkriegsleben war ein Sieg des Herzens aus Fleisch über die Hölle der Herzen aus Stein. Wie könnte man dafür nicht mit ewigen Standing Ovations danken?

Vor 10 Tagen, am 8. August 2022, erhielt ich eine SMS von Helena Wisła aus dem Hospiz in Oświęcim:

„Zosia ist heute Morgen gestorben!“

Nach einer Weile fügte sie hinzu:

„Sie entflog lautlos wie ein Engel in den Himmel!“

Sie war ein Engel unter uns.

Zofia, wir danken Dir! Zofia, bitte für uns!