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Sr. Katharina  (Adelheid Sommer)

Ich stehe hier an der Mauer der KZ-Gedenkstätte. Wir schauen auf das jüdische Mahnmal, wie wir es von unserem Kloster Karmel Heilig Blut Dachau aus sehen.

Vor 80 Jahren wurde Edith Stein in einer Gaskammer in Auschwitz ermordet.

Heute erlebe ich unsere Welt und die Menschen bedroht von großen Spannungen. Ich sehe  eine immer größere Angst vor der Andersartigkeit des je anderen wachsen. Große Unsicherheit angesichts vielfältiger Bedrohungen breitet sich aus. Menschen suchen nach Ursachen und den Verantwortlichen dafür. Sie fragen: Wer ist schuld an der Klimakatastrophe, die unsere Erde bedroht,  wer ist für die vielen Flüchtlinge auf der Welt verantwortlich, für die Kriege und Bürgerkriege, die Arbeitslosigkeit und soziale Not, die neue Krankheit COVID 19 und ihre Mutationen… .? Wem sollen wir noch glauben, wenn selbst in den Religionen, den Kirchen menschliches Versagen und Schuld in schlimmem Ausmaß offenkundig wird? Der Satz unserer Ordensgründerin Theresa von Avila „Die Welt steht in Flammen” ist erschreckend aktuell.

Da bieten sich Politiker und geistliche Führer an, die sagen: Wir kennen die Schuldigen. Wir wissen, wer unseren Frieden, unseren Wohlstand, unseren Glauben stört. Kommt zu uns!  Wir haben die Wahrheit. Lasst uns vernichten, was uns stört. Lasst uns vernichten die Menschen, die uns stören und es wird uns gut gehen.

Viele Millionen Menschen wurden in Europa in der NS-Zeit Opfer eines solchen Denkens. Edith Stein war eine von ihnen.

Ihr Leben war geprägt von einem Suchen nach der Wahrheit. Vom Aufwachsen in der jüdischen Familie über die Phase der bewussten Entscheidung zum Atheismus und das Studium der Philosophie, hin zur Taufe in der katholischen Kirche und dem Eintritt in den Karmel, der Unmöglichkeit für sie nach Israel auszuwandern, dem Gang in den Karmel in den Niederlanden bis zur Annahme des Todes in Auschwitz war ihr Leben von vielen Aufbrüchen geprägt. Edith Stein blieb sich darin treu auf dem Weg zu sein, nicht stehen zu bleiben. Sie konnte später sagen: „Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“

Dieser Satz bewegt mich schon viele Jahre. Ich glaube, weil sie sich auf der Suche wusste und sich nicht hinter dem, was sie gerade von der Wahrheit erkannte, verschanzte, konnte sie auch mit großer Achtung in Freundschaft mit Menschen verbunden sein, die andere Wege gingen. Sie blieb ihrer jüdischen Herkunftsfamilie verbunden, hatte atheistische und evangelische Freunde, konnte als Studentin und Philosophin mit Respekt vor dem Geheimnis im Anderen ihre Forschungen betreiben, begleitete als Lehrerin und in der Frauenbildung viele auf ihrem Weg und wurde mir so zur Inspiration.

Sie trug die Sorgen und Nöte ihrer Zeit im Karmel von Köln und Echt im Gebet mit.

So beten auch wir im Karmel Heilig Blut von Dachau:

  • für alle, die in der katholischen Kirche in Deutschland den synodalen Weg der Erneuerung gehen möchten,
  • für Politiker, die sich in den Staaten Europas und der Welt für Wege des Miteinanders einsetzen,
  • für Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen oder auf der Flucht sind,
  • für die Gläubigen aller Religionen.

Gott schenke ihnen den Mut, sich auf der Suche nach den richtigen Wegen nicht hinter erkannten Wahrheiten zu verstecken und abzugrenzen.
Lass uns wachsen im Vertrauen auf die lebendige Wahrheit, die sich in jedem ehrlich suchenden Menschen zeigt, und die Du selber bist.
Amen.