Brzesko, 21.03.2005
An das Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim
Bevor ich versuche, die uns gestellten Fragen zu beantworten, möchte ich Ihnen über meine eigenen Eindrücke und über Eindrücke meiner Kolleginnen und Kollegen, d.h. wie wir Auschwitz-Birkenau nach einem Zeitabstand wahrnehmen, schreiben.
Ich möchte Stellung zur Broschüre vom 18.01.2005 und zu den da berührten Problemen, die sich auf den Aufenthalt in Konzentrationslagern beziehen, nehmen. Diese Broschüre, die zum 60. Jahrestag der Befreiung des KL Auschwitz-Birkenau herausgegeben wurde, haben wir von Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim und vom Maximilian Kolbe Werk aus Freiburg bekommen. In erster Linie möchte ich mich allen Interessierten vorstellen.
Ich heiße Zbigniew Damasiewicz. Am 3. Mai 1949 wurde ich in Brzesk durch die Krakauer Gestapo verhaftet. Danach wurde ich ins Gefängnis in Tarnow transportiert. Sei dem 14.6.1940 bin ich im KL Auschwitz gewesen. Dort habe ich Lagernummer 260 bekommen. In Auschwitz bin ich bis August 1944 gewesen. Von dort wurde ich vom Block Nr. 11 ins KL Sachsenhausen strafrechtlich transportiert, wo ich die Nr. 94113 bekommen habe. Danach hat man mich ins KL Natzweiler / Kommando Kochendorf transportiert, wo ich die Nr. 33587 bekommen habe. Im April 1945 wurde ich nach Dachau transportiert. Dort habe ich die Nr. 150112 bekommen. Am 29. April 1945 wurde ich durch die Amerikanische Armee befreit. Ich möchte erwähnen, dass ich am Tag der Verhaftung 17 Jahre und 5 Monate alt war, ich war also bestimmt nicht älter als manche von Euch, die Ihr uns sehr interessante Fragen stellt. Man möchte in diesem Alter die Wahrheit über Fragen, für die man sich interessiert, kennen. Die uns gestellten Fragen möchte ich möglichst ausführlich beantworten. Wenn wir auf die Felder der größten Völkerkämpfe um Freiheit und Würde des Menschen, und auf das grenzlose Gelände von Auschwitz-Birkenau schauen, dann kommt uns immer wieder die dramatische Frage vor: Was ist passiert, dass es zu solch einer großen Tragödie gekommen ist? Wo soll man nach ihren Uhrsachen und Anfängen suchen?
In der Zeit der Entstehung der totalitären Systeme ist eine Strömung hervorgetreten, die man „Szientismus“ genannt hat, und die den Verstand vergötterte. Nach dieser Strömung war der Verstand die größte Autorität. Gott war unwichtig, unwichtig waren auch Liebe, Gefühle, Herzlichkeit, Barmherzigkeit und Freundschaft. Man ist vom Dekalog (den zehn Geboten) abgegangen, Gewalt und Macht wurden anerkannt und in diesem Geiste hat man die Jugendlichen großgezogen.
Der alttestamentliche Kampf des Davids gegen Goliat hat sich in Wirklichkeit nicht auf den Blättern des Alten Testaments, sondern auf den gewaltigen Feldern von Auschwitz-Birkenau gespielt. Dort ist ein wehrloser Häftling des schrecklichen Vernichtungslagers, von der Ungeheuerlichkeit des Hungers, der Krankheiten und von Gewalt gequält, gegen anderen Menschen Auge in Auge gestanden. Der andere Mensch war aber mit einer schlicht unvorstellbaren Macht bewaffnet und das hier war der falsche Schritt. Ich habe mit polnischen Lehrerinnen, weiblichen Häftlingen im KL Auschwitz-Birkenau mehrmals gesprochen. Sie haben das Verhalten von jungen SS-Männern beobachtet und in unseren Gespräche äußerten sie ihre Meinung dazu folgendermassen: Man muss die Jugendlichen unbedingt anders erziehen. Anders heißt, dass man ihre Erziehung auf andere, als die hitlerischen Muster, Moralwerte, und auf eine andere Botschaft und Weltausschauung stützen soll. Der Mensch soll den anderen Menschen achten, gestützt auf Gott und den Dekalog, was bestimmt für die richtige Erziehung unserer Generationen Frucht bringen wird.
Im Antwort auf Fragen von Anna Wonsack aus Hunfelden in Deutschland würde ich sagen: Mein Verhältnis zu Gott ist von Glauben und Liebe durchdrungen. Dank der Vorsehung Gottes habe ich diese Hölle auf der Erde erlebt. Ich bin der Meinung, dass Glauben die Grundlage meines Lebens ist, weil Gott die Menschen mit dem Kreuz prüft, die er in sein Herz geschlossen hat, und ihre Seelen werden durch Schmerz werden geformt und bereichert.
Die Frage von Katrin Groiss, Daniela Lazenhofer und Sylvia Rapp aus Hollabrunn, ob Gott uns Kräfte gab, um das alles überleben zu können, würde ich wie oben begründen.
Die Frage von Frau Katarina Hartwig und Anja Lindig würde ich wie folgt beantworten: Als ich an eigenem Leib erfahren habe, wie die SS-Männer und die Lagerleitung uns behandelt haben, habe ich nie daran geglaubt, dass ich das Lager überleben werde. Man ist mit uns wie mit Vieh umgegangen. Hunger, Krankheiten und Selektionen nach den Apellen, die für viele in der Gaskammer ihr Finale fanden, haben uns besonders vernichtet. Man hat die Häftlinge, bei denen man Fleckfieber und andere Krankheiten festgestellt hatte, vergast. Ich habe eine solche Selektion überstanden. Diese Selektion führte der Lagerarzt Hauptsturmführer Entress durch. Ich war aber nach der Rekonvaleszenzzeit, deswegen hat er mich am Leben gelassen; aber ca. tausend andere Häftlinge wurden vergast.
Der Himmelswille war mir doch gefällig – ich habe vier Konzentrationslager überstanden, und wurde aus Dachau durch die US-Armee befreit. Die Befreiung des Lagers ist seltsam abgelaufen, weil die Front 35 km vom Lager entfernt war. Wir sind von einer Sturmgruppe der Armee der Vereinigten Staaten befreit worden, aber gleichzeitig wurde uns verboten, das Lager zu verlassen, wegen der sich zurückziehenden deutschen Armeeabteilungen. Es wäre nämlich möglich, dass sie uns, Häftlinge, liquidieren wollen werden. Die amerikanischen Soldaten sind unsere Wachmänner geworden. In der Nacht sind Artilleriegeschosse über das Lager geflogen, man hörte das Gebrumm der Panzerwagen… Bei Anbruch des nächsten Tages wurde uns bewusst, dass wir freie Menschen sind. Nach der Befreiung sind fünftausend von uns wegen Hunger und Krankheiten gestorben. Ins Lager sind Sanitäreneinheiten und Ärzte der US Armee mit dem Militärseelsorger gekommen. Wir haben für unsere Rettung ein Dankgebet gehalten. Ich habe daran teilgenommen und war wegen der Befreiung außerordentlich zufrieden und glücklich.
Die Frage der Damen Katrin Groiss, Daniela Lazenhofer und Sylvia Rap würde ich so beantworten: Diese Erinnerungen kann man nicht aus unserem Gedächtnis weglöschen. Sie sind in uns lebendig, besonders kommen sie zu uns in der Nacht, in Albträumen wieder. Um das zu vergessen, haben wir immer versucht, in solcher Umgebung zu sein, die mit den Lagern nichts zu tun hatte. Wir haben davon auch nicht gesprochen. Aber wenn wir uns im Kollegenkreis trafen, war das Lager immer das Hauptthema, obwohl wir es nicht vorhatten, davon zu reden.
In Antwort auf die Fragen von Herrn Pfeiffer aus Hollabrunn und Frau Christina Steffen aus Montabaur muss ich gestehen, dass ich keinen Hass gegen Deutsche, weder während der Befreiungszeit noch später, empfand. Polen – das christliche Volk – empfinden keinen Hass gegen andere Nationen und sogar gegen die, die ihnen Unrecht zugefügt haben, sogar solche, wie die aus der Zeit des II. Weltkrieges. Diese Zeit hat mir eins hintergelassen, nämlich, dass ich es nicht ertragen kann, der deutschen Sprache zuhören, weil ich das Gefühl ständig habe, dass jemand mit einem Knüppel hinter mir herläuft.
Meine Antwort auf die Fragen, die mir Frau Angela Hartwig aus Jena gestellt hat, suchen sie bitte in meinem Vorwort, der Bewertung der jungen SS-Männer durch polnische Lehrerinnen. Ich bin der Meinung, dass die Nationen Europas ihre Wurzen, d.h. das Christentum, die Zivilisation der Liebe und des Lebens, wiederherstellen sollen. Man kann es nicht dazu kommen lassen, dass die Totalitarismen mit einer unerhörten Kraft wiedererleben. Es ist sehr tragisch, dass die stürmische Entwicklung der Technik von der Niederlage des Menschen begleitet ist, die in Richtung immer größerer Barbarei und Bestialität geht. Wir sollten uns der Bewegung des wiederauflebenden Christentums in Europa anschliessen, andernfalls werden wir zu neuen Auschwitz-Birkenaus führen.
Zbigniew Damasiewicz
Brzesko
Übersetzt von Anka Bibrzycka