Michel de Goedt, OCD
Gibt es eine Gemeinsamkeit
zwischen der Shoah
und dem Leiden Christi?
Kann man von einer „Theologie der Erlösung nach Auschwitz“ sprechen?
(Oświęcim, Zentrum für Dialog und Gebet, 3.09.1998)
Einleitung
Der Untertitel dieses Vortrages kann als provozierend oder irreführend empfunden oder aufgefasst werden. Ein Geschehen, dessen unmenschliche Einzigartigkeit von Grund auf so negativ ist, dass sie bestimmt zu sein scheint von einem Element unbekannter Art, dessen Bosheit vom menschlichen Verstand nicht zu fassen ist – solch ein Geschehen kann uns dazu führen, den christlichen Glauben bis in sein Innerstes zu verändern, ihn zu korrigieren und völlig neu zu formulieren. Mit Worten des Paulus lässt er sich so zusammenfassen: Christus ist für unsere Sünden gestorben, er ist auferstanden zu unserer Rechtfertigung; eben darin besteht die Erfüllung der Schriften; genauer gesagt: Jesus bringt gemäß seinem Auftrag die Schriften zur Erfüllung. In Jerusalem wurde die Gute Nachricht vom Kommen des Reiches Gottes in Jesus verkündet, der durch den Vater am Tag der Auferstehung zum Christus gemacht wurde. Von Jerusalem ausgehend ist diese Gute Nachricht auf der ganzen Welt zum Erklingen gebracht worden. Es ist undenkbar, das Evangelium auf eine völlig neue Weise zu formulieren – zweitausend Jahre hindurch wäre es verkürzt oder verfälscht worden; damit würde man auch behaupten, der Heilige Geist sei nicht in die Herzen der Apostel und der Gläubigen ausgegossen worden und Christus seinem Versprechen nicht nachgekommen, bei den Seinen zu bleiben bis zum Ende der Zeiten. Die wunderbare Fruchtbarkeit des Evangeliums wäre eine Täuschung. Kurz, wenn die Erfahrung stimmt, dass die Geschichte der Menschheit, die darin verwurzelte Geschichte der Kirche sowie die mit diesen beiden verbundene Geschichte der Theologie es dem Theologen oft ermöglicht haben, sich immer wieder ans Werk zu machen, ist diese historische Entfaltung des den Christen gemeinsamen Glaubens niemals anders verstanden worden als innerhalb einer lebendigen Tradition, die im Wesentlichen eine ist und kohärent mit sich selber.
Dies sind die Umstände, die den Theologen dazu führen können – unserer bescheidenen Meinung nach müssen -, in Bezug auf neue Tatsachen bestimmte fundamentale zentrale Aspekte dieses gemeinsamen Glaubens zu überdenken:
- 1. Über Jahrhunderte hinweg enthielten die christliche Verkündigung, die Liturgie, die Unterweisung der Gläubigen antijüdische, wenn nicht sogar offenkundig antisemitische Stereotypen. Durch die spirituelle Abstumpfung, die dieses schwere Erbe bei den Gläubigen und ihren Priestern nach sich zog, wenn es sich nicht sogar um unerbittlichen Hass handelte, hat diese christliche Pseudo-Tradition in einem schwer zu präzisierenden Ausmaß dazu beigetragen, die Durchführung der Shoah zu erleichtern, hat sie sich ihr nicht widersetzt, hat sie manchmal schreckliche Feigheiten oder Kompromisse genährt.
- 2. Im Judentum fehlt es nicht an Stimmen, die bestätigen, dass man auf den Gesichtern von Millionen jüdischer Märtyrer die Züge des geheimnisvollen Gottesknechtes sehen kann, der im Buch Jesaja (40-55) erscheint: „Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht“ (Jes 53,3)1. Dieses Kapitel des Buches Jesaja wird mehrere Male im Neuen Testament zitiert: die Synoptiker beziehen sich in den Passionsberichten darauf, um auf die Vergegenwärtigung des Gottesknechtes in Jesus hinzuweisen.
- 3. Ein mächtiges Gespür für den Glauben ließ viele Christen die Last dieses dunklen Erbes abschütteln (oben erörtert) und drängte sie dazu, ihr Leben für das Wohl ihrer jüdischen Brüder zu geben oder zu riskieren. Diese „Gerechten“ verdienen die bescheidene Würdigung einer Besinnung auf dieses „Gespür“, das ihnen ermöglicht hat, den Weg der Wahrheit und des Lebens zu erkennen, auch wenn er zum Tod führte.
Ist ein Vergleich möglich zwischen den Leiden
der Shoah und denen der Passion Christi ?
Der „Umstand 2″ führt uns auf einen Weg ohne Ausweg: zwei Schmerzensmänner zu vergleichen, denjenigen, dessen Gesicht mit den Gesichtern der Millionen Märtyrer der Shoah identisch ist, und Jesus in seiner Passion. Der Vergleich führt zu diesem Ergebnis: die Erfüllung der Schriften manifestiert sich mehr im ersten Schmerzensmann als im zweiten. Die Annäherung ist es jedoch wert, innezuhalten, weil sie die Möglichkeit bietet, eine sehr wichtige theologische Präzision vorzunehmen: eine Präzision, die vielleicht überrascht, weil sie im Gegensatz steht zu pseudo-theologischer Vereinfachung; dennoch will sie nichts anderes als einfach übereinstimmen mit der Wahrheit von der Ankunft des Retters in einem Fleisch der Sünde, einer Wahrheit, die der Theologe im Licht der Evangelien zu formulieren versuchen kann.
In der ersten Ankündigung seiner Passion „erklärt“ (Mt 16,21) Jesus seinen Jüngern, „sagt“ (Lk 9,22) ihnen, „lehrt“ (Mk 8,31) sie, „dass der Menschensohn [oder: „dass er“] viel leiden muss“ (Mt 16,21). Das große Leiden Christi ist das Objekt eines apokalyptischen „Muss“, das auf einen Heilsplan verweist, der von Anfang an verborgen gehalten wurde, um am Ende der Zeiten geoffenbart, verkündet und vollendet zu werden, was ausschließt, es auf eine physikalische Quantität zu reduzieren. Bei Matthäus muss der Menschensohn vieles erleiden „vonseiten der Ältesten, der Hohenpriester und der Schriftgelehrten“; bei Markus wird das „polla pathein“ sofort in Verbindung gebracht mit der Ablehnung durch die Ältesten, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten, ebenso bei Lukas, so dass in ihrer Darstellung das Ausmaß und die Intensität des Leidens Christi herrühren vom Schmerz des Abgelehntseins und von dem, was dieses Abgelehntsein bedeutet und nach sich zieht. Das physische Leiden als solches wird nicht zur Sprache gebracht; es kommt auch in den Passionsberichten nicht vor, die es doch ohne Zweifel einschließen.
Auf die Frage, ob das Leiden der Passion Christi größer war als alle anderen Leiden, antwortet der Hl. Thomas von Aquin mit ja (Summa theol. III, 46, Art. 6). Der Autor der Summa theologica bietet die ganze Christologie auf, um die Bereiche festzulegen, in denen diese affirmative Antwort gilt, und um klarzustellen, wie sie dort verwendet wird. Eine Erklärung ist notwendig im Blick auf den ersten möglichen Einwand: die Märtyrer haben viel schwerere physische Schmerzen erlitten als Christus sie erduldet hat. Zum ersten muss man zur Kenntnis nehmen, dass es andere Gründe sind als die physischen, die den Schmerz des leidenden Christus viel größer machen als alle anderen Leiden. Die Wahrnehmung eines erdrückenden Misserfolgs erzeugt einen inneren Schmerz: es ist die Traurigkeit, ein Schmerz, der den Menschen viel tiefer berührt als der physische Schmerz (der nicht verharmlost wird: die Ausführungen über den Schmerz der Kreuzigung im Hauptteil dieses Artikels führen zu einer intensiven Betrachtung der Leiden des Heilands). Lassen wir den Brief des Hl. Thomas beiseite; wir können behaupten, dass Christus so tief verletzt ist in der Liebe zu seinem Vater und zu seinen Brüdern, den Menschen, dass er darüber zu Tode betrübt ist (Mt 26,38; Mk 14,34). Schwer lastet die Traurigkeit auf ihm angesichts der Beleidigung, die seinem Vater angetan wird durch die Sünde der Welt und durch die Art und Weise, wie das Antlitz Gottes in der Schöpfung verhöhnt wird. Diese Traurigkeit, diese Erstickung der Liebe – voll Entsetzen und Angst werden sie in einem schrecklichen Kampf dem Vater (Lk 22,39-46) in einem Gebet anvertraut. Dieser Hilferuf, den Christus seinem Vater entgegenschmettert, um vom Tod gerettet zu werden und alle seine Brüder mit ihm, dringt durch die Pforten des Todes; seine Erhörung ist die Einsetzung in die Herrlichkeit am Morgen der Auferstehung (Hebr 5,7-10). Dieser Gedankengang über die Traurigkeit Christi könnte einem jüdischen Leser unnütz erscheinen, sogar unlesbar (im Sinne von: inakzeptabel, zu lesen verboten). Er wird uns aber erlauben, stammelnd auszuführen, dass die Beleidigungen, die Gott durch die Kreuzigung und durch die Shoah angetan wurden, gleichbedeutend sind.
Stammelnd also können wir trotz des oben genannten Vorbehalts einen gewissen Vergleich zwischen den Leiden Christi und denen der Shoah aufstellen.
Wir unterstreichen zuerst, dass das bereits erwähnte Zugeständnis des ersten Einwands heutzutage die Leiden dieses oder jenes Häftlings einschließen würde, wenn nicht gar aller Häftlinge von Birkenau oder Treblinka, um diese beiden Konzentrationslager besonders zu erwähnen, Leiden, die größer sind als die von Christus erduldeten. Dieses erweiterte Zugeständnis wäre unerträglich reduziert, wenn dabei vergessen würde, dass die „physischen“ Leiden der Vernichtungslager nur das glühende Eisen gewesen wären, das Menschen mit einem unsagbaren moralischen Leiden gebrandmarkt hat: das Leiden der Entwürdigung, des schrecklichen Übergangs in den Zustand des Untermenschen, der Entmenschlichung des Menschen. Christus wurde gegeißelt – ein grausames Leiden; aber er wurde nicht wild zu Tode geschlagen und damit seiner Menschenwürde beraubt. Verspottet, mit schmerzhaften Dornen gekrönt, in der rechten Hand ein Schilfrohr als ein lächerliches Zepter, wird er immer noch mit „König der Juden“, einem menschlichen Namen, gegrüßt, ein ironischer Gruß, der aber Jesus nicht entmenschlicht. Warum die Anstrengung, die Menschenwürde der Juden zu zerstören, bevor sie ausgerottet wurden, und die Spuren ihrer Ausrottung zu verwischen? So versicherte man sich, dass die Juden nicht durch eine Wahl Gottes besonders bezeichnet worden waren. Als man versuchte, sie sozusagen zu „entschöpfen“, sie also aus der Schöpfung und aus jeder Erinnerung an die Schöpfung herauszunehmen – auf wen hatte man es abgesehen? Welche hasserfüllte Wut war von der Idee besessen, die Spur Gottes auszulöschen ? Welchen Namen musste man abschaffen, indem man die zerstörte, die Ihn in ihrem Fleisch eingeschrieben trugen ? Man sieht, dass die Frage, die zu stellen deplatziert schien, uns in der notwendigen Erweiterung in die Mitte unseres Themas führt.
Zwei Formen der Gegnerschaft:
gegenüber Israel und seinem Gott
Wenn man die Shoah und die Passion in Zusammenhang bringen will, ohne sie zu vermischen noch eines dem andern einzuordnen, dann um zu zeigen, dass die eine und die andere dieselbe Wunde verbergen. Sie ist auferlegt im Namen Gottes, dem Moses geoffenbart im brennenden Dornbusch, einmal im Jahr, am Yom-Kippur, vom Hohenpriester feierlich verkündigt, in dem Namen, den alle frommen Juden im Shema Yisrael dreimal am Tag durch „Herr“ ersetzen, aus Achtung vor der Einmaligkeit dieser Verkündigung. In der Shoah wie in der Passion Christi ist derselbe satanische Wille am Werk – bei Wahrung der vollen Verantwortung der Menschen – den Namen Gottes und des Volkes zu leugnen, das ihn in seinem Fleisch und in seiner Geschichte eingeschrieben trägt, und diesen Namen auszulöschen, indem er das Volk ausrottet.
Über den Antisemitismus und den Antijudaismus hinaus muss von einer radikalen Gegnerschaft gegen den Gott Israels gesprochen werden, die sich vermischt mit einer radikalen Gegnerschaft gegen das Volk Israel. Die Geschichte wird uns sagen, ob sich dieser doppelte und unvergleichliche Widerstand nicht von Anfang an gezeigt hat.
Die Schrift erlaubt uns, zwei Typen von destruktiver Feindschaft gegen das Volk Gottes zu unterscheiden: die Feindschaft des Pharao, der, „da er den Herrn nicht kennt“ (Ex 5,7), dem Volk Israel die Möglichkeit verweigert, seinen Gott im Fest zu feiern, es gleichzeitig daran hindert, sich zu vermehren, und es durch Sklavenarbeit entkräftet. Darin kann man alle Formen des Antisemitismus repräsentiert sehen, die mit der Missachtung oder der Ablehnung des einzigartigen Bundes des jüdischen Volkes mit Gott den Willen verbinden, das Volk zu zerstören, nachdem es unterdrückt wurde. Der andere Typ Feindschaft manifestiert sich das erste Mal in Amalek (Ex 17, 8-16), eine Feindschaft, die nicht nur tückisch und hasserfüllt hinsichtlich des jüdischen Volkes ist, die – mehr noch: – sogar den Namen Gottes verachtet, genauer: den Namen, der heimgesucht wurde in dem Volk, das Ihn in seinen Volksnamen eingeschrieben hat: Isra-El.
Diese Unterscheidung kann nicht unabhängig von der Zeit, die die Geschichte des Bundes bestimmt, verstanden werden: Vorbereitung, Errichtung des Bundes, Wanderung zum Heiligen Land, Etappen, deren Verkettung man in Ex 6,2-9 verfolgen kann. Im Pharao findet man die verschiedenen Formen des Antisemitismus repräsentiert. Seine Weigerung, den Bund Israels mit seinem Gott anzuerkennen, führt das jüdische Volk in die Zeit der Vorbereitung des Bundes zurück, um ihm ein Ende zu setzen und zunächst seine Richtigkeit zu leugnen; „nicht kennend den Herrn“, kann er nur den Anspruch dessen verneinen, der behauptet, von Ihm eine Berufung bekommen zu haben. Der Antisemitismus der Christen, die behaupteten, die Berufung des jüdischen Volkes sei außer Kraft gesetzt worden, unterscheidet sich nicht davon; im Gegenteil, er verschärft noch diese Ablehnung: indem er an die Stelle des „nicht“ das „nicht mehr“ setzt, um den Schatten einer göttlichen Ablehnung und eines Fluches darauf zu werfen.
Amalek kommt nach dem Bundesschluss. Auf dem Weg, der das Volk zu dem Ort führt, wo in Verbindung mit dem Bund der Segen gespendet werden soll, taucht der tückische Gegner auf, besessen von der Idee, das Volk zu vernichten, das wegen der Anrufung des Namens abgesondert ist, auszulöschen – nicht mehr, wie es der Pharao gemacht hat – den Ruf, der den Bund vorbereitet und auf ihn hinwirkt, sondern die Hoffnung, die der schon bestehende Bund begründet. Er ist davon besessen, die „Bewegung auf etwas hin“ zu ersticken, die das eigentliche Leben des Volkes ausmacht, das durch diesen Bund gekennzeichnet ist. Amalek tritt genauso gegen Gott auf wie gegen sein Volk. Dtn 25,17-19 besteht an zwei Stellen auf der Tatsache, dass Amalek Israel „auf dem Weg“ angreift; genau gesagt, handelt es sich um den Weg, der von der Grenze Ägyptens zu dem Land führt, das Gott dem befreiten Volk als Erbe versprochen hat, damit es sein Volk sei. Deshalb steht geschrieben, dass Amalek „nicht die Furcht Gottes hatte“. Zwischen Gott nicht kennen, ihn nicht kennen wollen noch einen besonderen Bund zwischen ihm und einem Volk anerkennen müssen einerseits und Gott nicht fürchten andererseits besteht der Abgrund, der Feindschaft und sogar verblendenden Hass trennt von der hasserfüllten und tückischen Arroganz, die zerstört, was sie nicht sehen will. Amalek befindet sich also im Krieg gegen Gott; ja mehr noch, Gott ist sogar im Krieg gegen Amalek in jeder Generation. Es steht geschrieben, dass Gott das Herz des Pharao verhärtet, aber nicht, dass er ein Herz dazu bringt, die Furcht vor seinem eigenen Namen zu leugnen. Amalek ist „das erste der heidnischen Völker“ (Num 24,20), die gleichzeitig mit dem Namen Gottes auch das Volk negieren, das sich auf diesen Namen beruft. Diese Pervertierung schlummert im Herzen jeden Heidentums. Solange Gott noch nicht sein Reich errichtet hat, wird dessen Wurzel der Hand des Menschen entfallen, der sie aus der Welt ausreißen möchte. Am Rande eines Textes, der unterschiedlich von den modernen Exegeten interpretiert wird, gibt Rachi, der sich auf eine alte Tradition beruft, folgenden Kommentar:
Gesegnet sei der Heilige, der mit erhobener Hand geschworen hat, dass es gegen Amalek einen dauernden Krieg und Feindschaft geben wird. Warum steht geschrieben kes und nicht kisse? Und wurde nicht sogar der Name auf die Hälfte reduziert (die ersten beiden Buchstaben des Namens, der Mose geoffenbart wurde)? Gesegnet sei der Heilige, der geschworen hat, dass sein Name nicht vollständig sei und auch nicht sein Thron, solange nicht der Name Amaleks vollständig ausgelöscht sei. Wenn der Name des Amalek ausgelöscht sein wird, dann also wird der Name vollständig sein, genauso wie der Thron.
Der antijüdische Hass und die Ablehnung
des Namens des Gottes Israels und des Volkes Israel
Zwölf Jahre hat Amalek seinen Schlaf hinter sich gelassen – unter einer Maske, die man an ihm noch nicht kannte. Noch nie dagewesen ist die methodische Pervertiertheit, mit der die unheimlichen Nazi-„Meister“ versuchten, zu entwürdigen, bevor sie zerstörten. Die physische Zerstörung – wir haben es oben schon angedeutet – erreicht nicht den Körper, ohne den Menschen selber zu entwürdigen; denn es handelte sich darum, eine Hülle zu zerstören, die Hülle eines Geheimnisses, aber sie zu zerstören, um sich von ihrer Leere zu überzeugen: der Name war nicht eingeschrieben in ihren Herzen – wie hätte er auch gelesen werden können von Augen, die blind sein wollten? Mit welch einer Höllenwut haben die „Meister“ nicht verordnet: dieses Volk hat nicht mehr Recht auf Leben als die Lüge von ihrem falschen Gott? Viel zurückhaltender hat schon der Psalmist diese Worte in den Mund des Gottlosen gelegt: „Es gibt keinen Gott“.
Die Einzigartigkeit der Shoah besteht nicht darin, dass sie weniger mit anderen Ereignissen vergleichbar wäre: sie ist nur die Umkehrung der Einzigartigkeit des Volkes, das von ihr betroffen wird, eine Einzigartigkeit, die genau wahrgenommen wird von einem Blick, der sie nicht wahrhaben will, eingeholt durch eine Hand, die sie ausrotten will, um selbst die Möglichkeit ihrer Existenz zunichte zu machen. Da, wo der „Meister“ die Spur der souveränen Freiheit des Schöpfers ausgelöscht hätte, hätte er das Idol einer Naturgottheit aufgestellt. So hätte er sich selbst aus dem Nichts gezogen und hätte den „Teil“ in das Nichts zurückgestellt, den die Natur nicht aufnehmen kann: die Erinnerung an Gott, die in das Fleisch eines Volkes eingeschrieben ist, das aus der Geschichte hervorging. Amalek kannte keine Gottesfurcht. Unter der Maske der Nazis hat er sogar dem Namen Gottes die Schuld zugeschrieben, soweit er in einem Volk lebte: er musste die Spur dieses Namens auslöschen, den Ort der Auslöschung auslöschen, keine Basis der Erinnerung übriglassen – Austausch eines Gottes, der vom Nichts nur die Grimasse des Nihilismus kennt, gegen einen Gott, der in Freiheit erschafft und freiheitlichen Beziehungen unter seinen Geschöpfen „Raum gibt“. Der Hass der Menschen, die von ihren „Meistern“ als auserwählt erklärt wurden, die anderen Völker zu beherrschen, gegen ein Volk, das von den anderen Völkern abgesondert war, um untereinander zu bezeugen, dass es einen einzigen Gott gibt – dieser Hass war einzigartig nur durch die Einzigartigkeit dieser Absonderung, die er aufheben wollte. Der Wille, eine einzigartige Beziehung zwischen Gott und einem Volk auszurotten, lässt sich nicht einreihen unter anderen destruktiven Vorhaben, so finster sie auch seien. Er ist fasziniert von dem einzigartigen Wesen, das er zusammen mit dessen Einzigartigkeit ausrotten will, und kettet sich an Verbindungen zum Bösen ohne jeden Vergleich. Die Schrecken der Shoah, von der man sagen kann, dass sie nichts Bekanntem gleicht, entziehen sich jedem Versuch der Verharmlosung nur durch den einzigartigen luziferischen Hass, der sie hervorgebracht hat.
Ablehnung des Namens des Gottes Israels
und des Volkes Israel in der Passion Christi
Schon der Katechismus des Trienter Konzils lehrte die Theologen, dass der wahre Grund der Kreuzigung Christi in den Sünden aller Menschen lag, und er bat sie, nicht zu versuchen, die Schuld und Verantwortlichkeiten aufzuteilen, insbesondere nicht die Juden zu belasten, wie es durch die Jahrhunderte üblich war, wie es die Kleriker in ihren Predigten in der Fastenzeit und in der Karwoche taten, der gesamte Klerus, der hohe und der niedere. Es sind die Sünden aller Menschen, die Gott den Vater beleidigten. Man erinnerte sich gut an das Gebet Christi für seine Schinder: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Aber der Tod Christi am Kreuz, einem Kreuz unabhängig vom Weg, der seit der Taufe durch Johannes dorthin geführt hat, wurde offiziell nicht als Konsequenz der Verneinung oder der Ablehnung des Namens Gottes angesehen. Die Ablehnung Christi war die Ablehnung des Gesandten des Vaters und die höchste Beleidigung, die dem Vater selber angetan wurde; aber man sah ungern, man sah überhaupt nicht mehr, dass die Passion zunächst und vor allem zurückzuführen war auf die Ablehnung des Namens des Vaters, der durch Christus geoffenbart worden war. In einem notgedrungen schnellen Durchgang durch das Johannesevangelium werden wir das zeigen.
Der Evangelist fasst alles, was das Wort unter uns getan hat, mit den Worten zusammen: der eingeborene Sohn hat uns mit dem Vater bekanntgemacht, hat ihn uns sozusagen erklärt, von ihm erzählt (Joh 1,18). Am Vorabend seiner Passion hat Christus in einem Gebet, das wie eine Unterhaltung mit seinem Vater ist, alles über die Welt gesagt, die ihn nicht aufgenommen hat: „Gerechter Vater, die Welt hat Dich nicht erkannt“ (Joh 17,25). „Alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich Euch mitgeteilt“ (Joh 15,15). In allem, was er tat, hat Christus den Vater gleichsam vergegenwärtigt, indem er seinen Willen erfüllte (Joh 12,49). „Wer ihn gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Deshalb hasst derjenige, der sich weigert, in ihm den Vater zu sehen und die Worte des Vaters in seinen Worten zu hören, nicht nur ihn, sondern auch den Vater (Joh 15,24). Die Abweisung des Namens des Vaters wird durch die Intervention des Lügners, des Teufels, der der Mörder von Anfang an ist, dramatisiert (Joh 8,44; 1 Joh 3,8). Die Menschen sind trotzdem nicht ihrer Verantwortlichkeiten entledigt, weder was die Passion noch was die Shoah betrifft: sie begeben sich freiwillig, auch wenn es ohne ihr Wissen geschieht, als Instrument in die Hände einer Macht des Hasses und der Dunkelheit.
Diese Dramatisierung schleicht sich unbemerkt ein in das Drama der Geschichte, die das Heilsmysterium kennt. In einer Konfrontation von Licht und Dunkelheit hat Gott sich seinem Volk gezeigt. Und Christus kommt, um alles zu ernten und in sich zu erfüllen, was Licht war in seinem Volk seit Abraham bis zu den Tagen seiner „Offenbarung an Israel“ (Joh 1,31). Wenn er der Samaritanerin gegenüber behauptet: „wir beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,21), ist das „wir“ eingeschlossen: Christus weiß, dass er am Ende einer langen Reihe von Juden steht, die oft ohne Rücksicht auf ihr Leben nur einen einzigen wahren Gott anerkannt und bekannt haben, denjenigen, der sich Mose im brennenden Dornbusch und durch Mose Israel geoffenbart hat. In ihm allein, dem geliebten Sohn des Vaters, hat sich die Verehrung an einen ganz und gar bekannten Gott gerichtet. In ihm allein auch schließt eine brüderliche Erinnerung all diejenigen seines Volkes ein, denen es gegeben war zu ahnen, was seine Seele erfüllte. In Christus hat die Berufung Israels, nur Gott als den einzigen lebendigen und wahren Gott zu kennen und an die Welt weiterzugeben, seine ganze Erfüllung gefunden. Jesus war nur ein Jude unter anderen. Aber diesem Juden, der er war, war es gegeben, auf die Berufung seines Volkes in einem Maß zu antworten, das alle Erwartungen übertraf. In diesem Übermaß macht Christus es allen Stimmen des Lichts in Israel möglich, eins zu sein im Gleichklang mit seiner Stimme. Das Israel des Lichts hat ihn mit seinem prophetischen Blick durch Nathanael repräsentiert gesehen, einen wahren Sohn Israels, der nichts übrig hatte für die Lüge der Idole, der nur den einzigen wahren Gott kannte und so auf die Berufung seines Volkes geantwortet hat (Joh 1,48). Alle die Nathanaels von Israel werden ihre Stimmen vereinen in dem „wir“ Christi. Daher kann und muss man wie für die Shoah sagen, dass die Passion Christi auf die Ablehnung zurückzuführen ist, auf die Beleidigung des Gottes Israels und Israels selber, das durch Christus repräsentiert ist und durch alle Nathanaels, die, wie Christus, ihrem Gott treu geblieben sind. Die Welt, repräsentiert durch Tiberius Julius Cäsar, der wiederum repräsentiert wurde durch den Prokurator Pilatus (fast sicher „Präfekt“ nach den besten Historikern), hat Israel in der Person seines Königs mit Spott und Hohn (Joh 1,49; 19,3) zurückgewiesen, des Königs, der gekommen war, um Zeugnis für die „Wahrheit“ des Gottes Israels abzulegen (Joh 18,37). Die Verwerfung Christi verbirgt ihren uneingestandenen Sinn, und zwar, dass sie gleichzeitig die Verwerfung des Gottes Israels und Israels selbst ist.
Im Licht dieser Interpretation der Passion Christi muss man, scheint es, nochmals erwägen, was landläufig über die Einsamkeit des leidenden Christus gesagt wird. Es ist sicher, dass das Leiden Christi unergründlich und dass niemand bei ihm war in dieser Tiefe, aus der der Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“ (Mt 27,46) gekommen ist, niemand außer Maria, die den Widerhall dieses Schreis in ihrem durchbohrten Herzen vernommen hat. Aber das Vertrauen, mit dem Jesus seinen Lebensatem in die Hände des Vaters zurückgelegt hat (Lk 23,46), hat die Treue aller Nathanels, die sich im Land Israel und unter den Juden der Diaspora befanden, nicht verdunkelt.
Mit Maria und den drei anderen Frauen, die sich mit ihr am Fuß des Kreuzes aufhielten, mit dem Jünger, den Jesus liebte (Joh 19,25-27), mit den „Frauen von Jerusalem“ (Lk 23,28), mit Simon von Cyrene, mit Josef von Arimathäa (Lk 23,26) und den Frauen, die mit ihm von Galiläa gekommen waren (Lk 23,50-55), umstanden diese Nathanaels im Geheimen das Licht, das in den Tod hinein unterging, um am Ostermorgen aufzuerstehen. Christus und die Seinen bildeten das Israel, das durch die Beleidigung ihres Gottes verhöhnt wurde.
Zwischen Passion und Shoah – die Heilige Schrift
Der Heilige Paulus gibt uns weiter, was er von der Tradition erhalten hat: Christus ist gemäß der Heiligen Schrift für unsere Sünden gestorben (1 Kor 15,3). Auf Grund des Todes und der Auferstehung wurde Christus durch seinen Vater zur Heilsquelle für alle, die ihm gehorchen (Hebr 5,7-10; vgl. 10,5-10). Aus diesem grundlegenden Glauben ist bei den ersten Generationen der Christen der Wunsch entstanden, sogar im Verlauf der Passionsgeschehnisse eine Erfüllung der Heiligen Schrift sichtbar werden zu lassen. Die Annäherung zwischen der Passion Christi und der Shoah erlaubt es, in der Heiligen Schrift zu suchen, was sich in ihr erfüllt. Man läuft eher Gefahr, von einer Nichterfüllung der Heiligen Schrift zu sprechen, oder zumindest von ihrem erdrückenden Schweigen als von einer Erfüllung. Ohne Zweifel haben so viele Juden im Wort Gottes, das in ihrer Erinnerung eingeschrieben war, die Kraft gefunden, bis zum Tod zu kämpfen, zu überleben, für Gott zu leben; ohne Zweifel ist das Sh’ma Yisrael dreimal am Tag über die Lippen von so vielen von ihnen gekommen bis an die Pforten des Todes. Aber welches Wort Gottes hat gesagt werden können über die ganze Shoah, das eine Äußerung, ein Urteil Gottes enthält? Keines. Soll man versuchen, in der Shoah die Wiederholung dessen zu sehen, was Israel in Ägypten, in Babylon, in der Zeit des Antiochus, des Titus, der Isabella der Katholischen ertragen hat? Die Berichte dieser Schicksale würden einem aus den Händen fallen, wenn man sie in Birkenau läse. Wenn man dort in einer der geöffneten Baracken es wagte, sich mit dem Ellbogen auf eine Pritsche aufzustützen, den Kopf zwischen den Händen, konnte man erfahren, dass dieser Ort Erinnerung an einen unzugänglichen Ort ist, den man in der Tiefe des Herzens nie mehr verlässt, weil er in sich eine schweigende Betroffenheit birgt. Im Unterschied zur Passion Christi läßt die Shoah vor einer Mauer des Schweigens jedes Wort zurückweichen, das zu sagen vorgeben würde, was sich in ihr vollzogen hat. In Birkenau und in anderen Todeslagern schweigt Gott weiterhin. Sein Schweigen enthält vielleicht ein Wort, das sagen könnte: „Auch wenn es immer noch wahr ist, dass Du mein bist, verzeih mir, mein Volk, dass ich nicht mehr wage, es Dir zu sagen.“ Mögen diejenigen, die dieses Wort hören, dadurch nicht die Verzweifelten belasten.
Im Warten auf ein Wort von Gott
Denen, die die Qual überlebt haben und ihren Kindern und Kindeskindern für alle Generationen, die Gott will, ist es aufgegeben, unerschütterlich die Hoffnung hoch zu halten, die ihnen durch die Flammen hindurch übermittelt wurde. Auf welche zukünftige Gewissheit des Wortes kann sich diese einzig artig aufgegebene Hoffnung stützen? Die Juden mögen mir verzeihen, dass ich den Heiligen Paulus zum Entwerfen einer Antwort um Erleuchtung bitte.
In einer theologischen Reflexion, die sich in das Innere der Offenbarung eines „Mysteriums“ (Röm 11,25) begibt, behauptet der Apostel, dass seine „Brüder dem Fleische nach“ (Röm. 9,3) ins Abseits gestellt werden (eine Übersetzung, die die Bedeutung des Abgeschnittenseins von apobolè [Wegwerfung, Verstoßung] abmildert – eine glückliche Abmilderung, die der Kontext rechtfertigt). Dies zerstört die im Bund gegebene Verbindung zwischen Gott und seinem Volk nicht, denn „unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29), ein Ausdruck, den die Vulgata sehr gut mit ihrer lateinischen Entsprechung assumptio übersetzt. Dieser Begriff aus der Familie eines Wortes, das in der Septuaginta verwendet wird, um auszudrücken, dass Gott das Volk Israel „mit sich nimmt, nahe bei sich“, widerspricht nicht einer früheren Zurücknahme oder Ablehnung einer Berufung, von der der Apostel behauptet, sie sei unwiderruflich, sondern einer Art „Ins-Abseits-Stellen“, das als solches definiert ist unter dem Gesichtspunkt des Glaubens an Christus, als Folge dessen, dass man ihn nicht kannte, nicht als Ergebnis eines göttlichen Aktes von Ausschluss, wäre er auch nur partiell und vorläufig.
Für dieses „Mit-sich-Nehmen“, das im Denken des Apostels eng verbunden scheint mit der Fülle der Zeiten, für diesen Akt des „Mit-sich-Nehmens“ derer „aus seinem Fleisch“, wird der Retter von Zion kommen, zweifellos keiner vom himmlischen Zion, er wird für Jakob kommen und den Bund zu seinen Gunsten erneuern (Röm 11,26-27). Es wird keine Integration und kein Aufgehen der Juden in der Kirche vor dem Ende der Zeiten geben. Durch dieses „Mit-Aufnehmen“, das die Kirche prägt, wird der Herr seine „Gemeinde“ aufbauen, die des himmlischen Jerusalems[38]; dabei teilen die Juden ihre Staatsbürgerschaft des „Rechtes“ der ersten Wahl mit den Nationen, die Bürger sind durch das „Recht“ der zweiten Gnade; es wird nur noch das eine Israel Gottes geben, das endlich die Zeiten der Prüfung (ins Abseits stellen der Juden) und der sakramentalen Schleier (die Kirche zur Zeit der Verbreitung des Evangeliums unter den Völkern) hinter sich gelassen hat (Apg 13,47; 28,29).
Aus dieser Perspektive, scheint uns, kann man es wagen, stammelnd etwas zu sagen über das Wort Gottes, von dem man erwartet, dass es dem jüdischen Volk den Trost bringt, sogar in dem Augenblick, wo es diejenigen, die nicht mehr sind, auferstehen lässt. Die Juden haben die nicht verjährende Pflicht zu leben und zu hoffen. Man kann nicht leben, indem man sich in Trauer einschließt. Die Juden leben und sind dazu aufgerufen zu leben – in Israel und überall, wo sie sich auf der Welt befinden. Aber ein Bereich ihrer Erinnerung bleibt eingeschlossen in einem drückenden Schweigen Gottes. Wie Rachel weigern sie sich, unter einem Himmel, der den schlimmsten Horror mitangesehen hat, getröstet zu werden (vgl. Jer 31,5, zitiert in Mt 2,18) [40]. Unter dem neuen Himmel und auf der neuen Erde des Reiches Gottes kann das Wort des Trostes endlich gesagt werden. Alle Tränen der Erde werden abgewischt sein (Jes 25,8; vgl. Apo 7,17), so lautet die Hoffnung, die Gott durch sein Versprechen ins Herz der Menschen legt. Aber Gott wird ein Wort des Trostes haben, ganz und gar einzigartig für sein Volk, ein Wort, das vom Vater nur dem Erstgeborenen seiner Kinder gesagt werden kann.
Der christliche Theologe kann nichts über dieses Wort sagen. Gott nimmt nicht Rücksicht auf Personen. Aber er hat eine Liebe, nicht der Bevorzugung, aber der Vorliebe, der ersten Liebe für sein Volk. Gott hat nur eine einzige Liebe für alle seine Kinder; aber er folgt frei der Ordnung, in der er sie mitteilen und kundtun will. Wie wir die Ordnung, die zwischen den göttlichen Personen existiert, anerkennen, so anerkennen wir die Ordnung, nach der Gott in der Mitteilung seiner Liebe zu den Menschen verfährt. Man darf nicht – und sei es auch noch so behutsam – das Geheimnis des Wortes durchbrechen wollen, das Gott in Reserve hat, um dem Schweigen von Auschwitz ein Ende zu setzen. Wenn wir sehen werden, wie es diejenigen, die zermalmt wurden, vor Freude tanzen lässt, werden wir freudig der Treue Gottes zujubeln. Es ist dem Christen nicht verboten zu glauben, dass auch Christus sich freuen wird, er zuerst, diese „von seinem Fleische“ endlich getröstet zu sehen, und seine Freude wird sich darauf richten, als erstes diejenigen zu sehen, die die Shoah erlitten haben.
Zwei Brüder „im Leiden“:
der Rabbiner Kofman und Jesus von Nazareth
Am Ende dieser Seiten, die durch ihr behandeltes Thema gewichtig waren, die aber durch eine leichtere Hand weniger diffizil geworden wären, soll uns erlaubt sein, in der Stille des Himmels zu träumen, indem wir den Worten von Sarah Kofman lauschen:
Mein Vater, ein Rabbi, wurde getötet, weil er den Sabbath im Todeslager einhalten wollte; er wurde lebendig begraben durch einige Hackenschläge, weil er – so haben Zeugen berichtet – sich an diesem Tag geweigert hat zu arbeiten, um den Sabbat zu feiern, um zu Gott zu beten für alle, Opfer und Täter, um in dieser Situation der Ohnmacht und der extremen Gewalt eine Beziehung wiederherzustellen, die sich jeder Macht entzog. Und das war für sie unerträglich: dass ein Jude, dieses Ungeziefer, sogar im Konzentrationslager nicht an Gott verzweifelt .3
Es sei mir genauso erlaubt, die brüderliche Gemeinsamkeit aufzuzeigen, die diesen Rabbiner, diesen Gerechten, dessen Licht nicht erstickt wurde von der Dunkelheit, und Jesus verbindet, der auch seinen Henkern verziehen hat und der auch nicht an seinem Gott verzweifelt ist. Diese Verbindung ist es auch, die die Shoah und die Passion Christi vereint in einem geheimen Punkt, den wir nur haben ahnen lassen können.
- [1] zitiert nach „Die Bibel. Einheitsübersetzung, 1980; genauso alle weiteren Bibelzitate
- [2] Man kann wohl sagen, dass das Massaker der Unschuldigen durch die Nazis hunderte Millionen mal vervielfacht worden ist.
- [3] S. Kofman, Paroles suffoquées. Collection Debats, Paris 1987, S. 41-42.
Übersetzt von Margaretha Hackermeier und Doris Collas
Veröffentlicht in : Dialog an der Schwelle von Auschwitz, Band 1, Kraków 2003, S. 147-163.