Einige Antworten auf die Fragen der Jugendlichen:

Die Kraft zum Überleben hat mir ein gesunder Lebenswille gegeben, der durch den Optimismus meines einzig überlebenden Bruders gestützt wurde. Beim ersten Morgenappell in Birkenau wollte ich aus Verzweiflung in die elektrisch geladenen Drähte laufen. Natürlich hoffte und glaubte ich, befreit zu werden. Dafür tut man alles und riskiert alles. Die Tränen bei der Befreiung kamen z.T. aus der Schwäche (37kg) und der Freude, erlöst zu sein.

Im Lager habe ich den Bezug zu Gott verloren. Es war etwas kaputt gegangen in mir, aber ohne einen direkten Vorwurf an Gott. Es waren Fragen, immer wieder Fragen – ohne eine Antwort oder Erklärung zu bekommen. Die religiösen Gesetze und Gebräuche hatten keinen Sinn und keinen Platz mehr – in den Lagern und später auch in meinem Leben. Erst im Alter jetzt suche ich wieder Kontakt mit Gott.
Einige Jahre nach der Befreiung hatte ich große psychische Probleme, die mit Depressionen begannen, einem völligen Zusammenbruch und einem Klinikaufenthalt endeten. Das war eine Zäsur in meinem Leben. Vorher hatte ich nur rückwärts gewandt gedacht. Alles stand in Bezug zur Lagererfahrung. Alle Geburtstage meiner Verwandten waren ständig präsent. Heute wäre der Geburtstag meiner Mutter, meiner Schwester, meiner Brüder, meines Vaters … davon ist man nicht frei, das kann man nicht wegwischen. Mein Gedenken an meine ermordeten Verwandten hat eine neue Form gefunden. Durch die Jahre ist es nicht mehr so belastend, der Blick geht auch nach vorne: meine Kinder und Enkel stehen im Mittelpunkt.
Über meine Erlebnisse konnte ich erst 1986 sprechen und auch das nur mit großen Schwierigkeiten. Seit den 90er Jahre kann ich frei darüber erzählen. Geholfen haben mir dabei die Schüler durch ihre Fragen. Durch Gespräche mit einer Psychotherapeutin kann ich seit Jahren mit meiner Vergangenheit besser umgehen.
Die Täter? Die Täter sind nicht in meinen Gedanken, sie sind in gewisser Weise für mich anonym.
Nach der Befreiung habe ich nur unter Freunden und Überlebenden verkehrt und andere Kontakte gemieden. Die Angst war immer noch da und auch das Bewusstsein, Jude zu sein. Zwar schwor ich, nie mehr deutschen Boden zu betreten.
Hass habe ich keinen, habe differenziert, habe auch keinen Hass auf Deutschland. Ich habe ja eine Deutsche geheiratet und bin nach Deutschland aus der Tschechoslowakei zurückgekehrt und lebe in Deutschland.

Was ich den Jugendlichen heute mitgeben oder sagen möchte:

Stärkt die Demokratie, seid wachsam gegenüber jeder Regung von Rassismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit.

Max Mannheimer

Haar