Dialog ist die Bedingung des Friedens
Hirtenbrief des polnischen Episkopates zum Fest der Erscheinung des Herrn am 5. Januar 2003
Das morgige Fest der Erscheinung des Herrn erinnert an die erste Begegnung von Vertretern der heidnischen Völker mit Jesus. Der Weg der drei Könige war eine Ankündigung der großen Wanderschaft des Glaubens, die durch die Generationen weitergeht, um Menschen, Völkern und Nationen Christus, das Licht der Welt, zu bringen. Schon fast 2000 Jahre dauert diese Wanderschaft und viele Völker und Nationen nehmen daran teil – sagte Johannes Paul II. während des Festes der Erscheinung des Herrn im Jahre 1996.
Die Weisen aus dem Morgenland hatten ihre Heimat verlassen. Sie begannen einen weiten, langandauernden Weg, geleitet vom Licht des Sternes, neugierig, die Wahrheit kennenzulernen, und fanden schließlich Christus und erwiesen ihm Ehre. Sie brachten die ehrliche Bereitschaft zur Begegnung mit jemandem mit, den sie nicht kannten. Heute würden wir ihre Haltung Offenheit und Dialogbereitschaft nennen.
In Jerusalem suchten die Weisen das Gespräch mit Herodes, aber sie setzten es nicht fort, weil er nicht ein Mensch guten Willens, von sauberen Absichten geleitet war. Deshalb zogen sie auf einem anderen Weg in ihre Heimat (Mt. 2,12) zurück. Die von ihnen begonnene Wanderschaft der Völker dauert an.
1. Zu Beginn des Dritten Jahrtausends ist der Welt, die unter zahlreichen Konflikten und unter Gewalt leidet, erneut der Weg des Dialogs zu zeigen – schrieb Johannes Paul II in der Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2001, noch vor der Tragödie vom 11. September. Schmerzliche Entwicklungen, Spannungen und das Schwinden zwischenmenschlicher Beziehungen rufen nach gutmeinender personaler Begegnung, rufen nach Frieden, dessen letzte Quelle Gott selbst ist. Es ist eine Verlängerung des Rufes der Engel aus Betlehem: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen Seiner Gnade (Lk 2,13).
Was ist Dialog eigentlich? Das Wort selbst, das aus dem Griechischen stammt, bedeutet das Gespräch von Personen. Es geht also nicht um irgendwelche Vereinbarungen oder Verhandlungen, bei denen Interessen abgestimmt und Kompromisse geschlossen werden, sondern um die gutmeinende Begegnung von Personen. Es ist die Muttersprache der Menschheit. Denn viele Streitigkeiten und Kämpfe zwischen Menschen haben ihren Grund in mangelnder gegenseitiger Bekanntschaft, was Vorurteile und Ängste gebiert. Wer Frieden will, der wird danach streben, die Wahrheit über sich selbst und über den anderen kennenzulernen. Im Dialog geht es also um ein gegenseitiges sich Kennenlernen, darum, sich durch Gaben zu bereichern, mit anderen zusammenzuarbeiten und gemeinsam die Wahrheit zu suchen, Gutes und Schönes im Geist des Friedens zu schaffen, darum, von anderen zu lernen, ihre Gedanken und Errungenschafften zu nutzen. Im Dialog zeigen wir unsere Schätze – darunter den größten, den Jesus Christus für uns darstellt, aber wir drängen nichts auf. Wir zwingen niemanden, sie anzunehmen, sondern achten die Würde und die Freiheit des anderen Menschen.
2. Dialog beginnt in der Familie. Durch die sakramentale Ehe zeigt und heiligt Gott selbst den Weg des Dialoges, den die Ehepartner jeden Tag aufs neue gehen sollten. Mehr hören als reden, mehr sich selbst mitteilen als streiten, mehr mitfühlen als bewerten, und vor allem vergeben. Die moderne Familie braucht den Dialog der Ehepartner, der ihre gegenseitige Liebe stärkt. Unverzichtbar ist auch Zeit für den Dialog der Eltern mit ihren Kindern. Wenn die Familie nicht zur Schule des Dialoges und der Achtung für die Würde des Menschen wird, übernehmen diese Rolle die weniger anspruchsvolle Straße und die Medien. Im Alltagsleben hat sich jeden Tag unser Christentum zu bewähren. Wer stark ist durch die Erfahrung von Liebe und Verständigung wird auch im gesellschaftlichen Leben dazu fähig sein.
Auch die Jugend laden wir zu Dialog und Aktivität ein. Habt keine Angst, eine eigene Meinung zu haben, laßt Euch von Kollegen, die eine Atmosphäre von Gewalt und Haß erzeugen wollen, nicht einschüchtern! In nicht ferner Zukunft werdet ihr die Verantwortung für das gesellschaftliche Leben und für das Schicksal des Vaterlandes übernehmen. Beginnt schon heute, Gutes zu verbreiten, denn die Liebe Christi drängt uns (2 Kor 5,14).
3. Unsere Zivilisation ist von verschiedenen Mängeln und Plagen geprägt. Gefährdungen des Lebens nehmen zu, Arbeitslosigkeit und Armut breiten sich aus, es wächst das Gefühl eines kulturellen Totalitarismus, der nur finanziellen Interessen dient. Das alles führt zu einem Gefühl von Chaos und Verlorenheit unter den Menschen, mindert das Streben nach höheren Werten, verstärkt die Jagd nach Gewinn sogar zum Preis von Unehrlichkeit und auf Kosten der Anderen.
Der Kult billigen, oft die Würde des Menschen erniedrigenden Spaßes verbirgt die Unfähigkeit, tiefere personale zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen, das Unvermögen zu Freundschaft. Im Resultat vertieft sich das Gefühl der Einsamkeit, das in extremen Fällen bis zu Selbstmordversuchen treibt. Scharfe Konkurrenz vernichtet Solidarität, immer schwieriger ist es für Zeiten der Stille und Kontemplation.
Eine Haltung des Dialoges widersetzt sich dem. Sie bringt uns allen Menschen näher, deshalb sind wir – als Katholiken – bereit zu gutmeinenden Begegnungen mit Christen anderer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie mit nichtgläubigen Menschen. Haben wir keine Angst vor solchen Treffen! Jeder Christ hat seine religiösen Erfahrungen und kann sie mit anderen teilen.
Im Kontext des gesellschaftlichen Druckes so zu leben, als ob es Gott nicht gebe, oder sogar selbst an Gottes Stelle zu stehen, ist der gemeinsame Versuch des Dialoges von Christen, von Bekennern der mosaischen Religion, Moslems und Bekennern anderer Religionen ein fruchtbares Zeugnis für Gott. Wenn wir als Christen die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, die Armut und Unglück getroffen hat, entwickeln, dann geben wir durch unser Handeln Zeugnis von unserem Glauben und bringen sie gleichzeitig Christus näher.
4. Unser Vaterland rühmt sich zurecht einer Tradition der Toleranz. Das freie Polen ist wieder ein Land, das für alle offen ist. Im Geiste des wunderbaren Erbes der Republik machen wir auch heute unser Vaterland zu einem sicheren Heim für Menschen von verschiedenen Kulturen, Bekenntnissen und Nationalitäten. In unseren Pfarreien tauchen Immigranten auf, die nach Polen gekommen sind, weil sie sich – wie viele unserer Vorfahren – auf der Suche nach „Brot“ auf die Reise gemacht haben. Wenden wir uns von ihnen nicht ab, schenken wir ihnen Freundlichkeit, verletzen wir sie nicht durch Gleichgültigkeit oder Verachtung.
Mit einer besonderen Bitte wenden wir uns an Katecheten, Lehrer, Journalisten, Kulturschaffenden sowie in Wirtschaft und Politik Verantwortliche. Der Dialog der Kirche mit der Welt – haben die polnischen Bischöfe erklärt – beschränkt sich natürlich nicht auf den religiösen Dialog. Er umfaßt auch andere Bereiche der humanitären, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit (Erklärung der polnischen Bischöfe über die Notwendigkeit von Dialog und Toleranz unter Bedingungen des Aufbaus von Demokratie, 15.-16. September 1995). Wir alle müssen mit unserem Leben Achtung gegenüber jedem Menschen, Gerechtigkeit, Sorge um ihn und um das gemeinsame Wohl lehren. Angesichts von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und radikaler Versuche, sie zu lösen, suchen wir nicht nach gewalttätigen Lösungen.
Denken wir auch an die kultischen und kulturellen Denkmäler der Vergangenheit, die heute unser gemeinsames Erbe bilden – an die über ganz Polen verstreuten vernächlässigten jüdischen, russischen, ukrainischen, deutschen und anderen Friedhöfe, an verlassene Synagogen und orthodoxe Kirchen. Lassen wir nicht zu, daß diese Zeichen von Leben und Glauben von der Erdoberfläche verschwinden. Leute, die haßvolle oder verächtliche Slogans auf Mauern schreiben oder in Stadien brüllen, dürfen bei uns keine Unterstützung finden.
5. Es gibt unter uns zu viel Verdächtigung, Mistrauen und Angst, zu leicht fällen wir Vorverurteilungen, ohne zuzuhören, ohne den Versuch, fremde Gründe und Motivationen zu verstehen. Wir haben mit ärgerlichen Streitigkeiten und Kämpfen zu tun, während Personen von außen Ärgernis nehmen an den Spaltungen, die es zwischen Menschen gibt, die sich auf das selbe Evangelium berufen. In diesen Bedingungen ist der Dialog auch eine gute Gelegenheit zur Gewissenserforschung, zur Reinigung des Gedächtnisses, der Erinnerungen, Gedanken und Gefühle. Andere Menschen sehen gewöhnlich leichter unsere Fehler als wir selber, nutzen wir ihre Hilfe. Haben wir keine Angst vor Worten der Kritik, und bemühen wir uns selber um sachliche und gutwillige Äußerung unserer Ansichten betreffs Anderer. Das ist schwer, aber möglich – und sehr notwendig. Beginnen wir, dies in unseren Familien zu üben und führen wir diese Freundlichkeit in unsere Umgebung und in das gesellschaftliche Leben ein.
6. Seit Jahren widmen die christlichen Kirchen im Januar eine besondere Zeit dem Gebet für die Einheit der Christen (18.-25. Januar). Die katholische Kirche in unserem Land hat den Tag des Judentums (17. Januar) und den Tag des Islams (26. Januar) eingeführt. Mögen unsere Pfarrgemeinden – in Gottesdiensten und eucharistischen Begegnungen – in diesen Tagen Orte intensiven Gebetes für Einheit , für allgemeine Sensibilität für den Menschen, für unsere und seine Öffnung für Gott werden. Gebet ist nämlich unsere höchste Form von Dialog.
Maria, die am schönsten auf den Weg des erlösenden Dialoges führt, vertrauen wir unsere Gemeinden an, unsere Diözesen und die ganze katholische Kirche in Polen. Möge sie unsere Landsleute auf ihren Wegen des Friedens unterstützen, im freundschaftlichen und liebevollen Gespräch mit ihrem Sohn und mit allen Menschen guten Willens.
Mit Euch im Gebet verbunden und Euch von Herzen segnend,
die Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe,
versammelt auf der 320. Vollversammlung der Bischofskonferenz Polens
Jasna Gora, den 28. November 2002
Übs.M.D.