Erklärung des Rates der polnischen Bischofskonferenz

zur Angelegenheit der Kreuze in Auschwitz

1. Versammelt im Heiligtum von Jasna Góra und das Antlitz unserer lieben Frau von Tschenstochau betrachtend, befassen wir uns mit Sorge mit den Problemen der Kirche in unserem Vaterland. Mit großer Unruhe erleben wir den schmerzhaften Konflikt in Oświęcim [Auschwitz], der in unserer Gesellschaft große Verwirrung hervorruft. Die Spannungen, die um das Kreuz in der sog. Kiesgrube entstanden sind, enthüllen schmerzhafte Verletzungen von Gewissen, die gefühllos sind für die Stimme der Wahrheit und für die Ermahnungen durch die Hirten, denen Christus in der Kirche den Dienst der Einheit anvertraut hat. Viel Menschen, nicht nur Gläubige, erwarten von uns einen eindeutigen Standpunkt. Die Bischöfe haben ihn schon oft dargelegt, aber ihre Stimme wurde übertönt durch geschürte Emotionen.

2. Wir knien vor der Ikone der Herrin von Tschenstochau, nehmen das Kreuz, das seit Jahren in der Kiesgrube steht [das sog. Papstkreuz. Anm. d. Übs.], in den Blick und drücken unsere Überzeugung aus, daß es an seinem Platz bleibt. Auf dem Gelände dieses Lagers starben Polen, Russen und Menschen, die aus vielen anderen Völkern stammten. In besonderer Weise hat diese Tragödie die Juden und die Roma betroffen, die durch eine gottlose rassistische Ideologie zu völliger Vernichtung verurteilt waren. Auf diesem großen Friedhof des 20. Jahrhunderts schulden wir allen Opfern Erinnerung und Ehre.

Das Zeichen des Kreuzes war für viele Sterbende ein Zeichen der Hoffnung und der Suche nach Sinn im Leiden. Ihre Überzeugungen sind zu achten und der Ort, der durch unschuldiges Blut geheiligt ist, ist mit dem ihm zukommenden Ernst und mit Wertschätzung zu behandeln. Das Kreuz, das am Exekutionsort von 152 Polen steht, verdient Achtung ebenso wie die religiösen Symbole all derer, die im Lager ums Leben kamen.

3. Als Hirten der Kirche richten wir unser Wort an die Gläubigen und drücken denen unseren Dank aus, die in der Zeit des kommunistischen Unrechts für das Kreuz Leiden auf sich genommen haben. Wir danken allen, die heute ihre Treue zum Kreuz beweisen, indem sie ein am Evangelium orientiertes Leben führen. Gleichzeitig betonen wir kategorisch, daß es niemandem erlaubt ist, das heilige Zeichen des Kreuzes zu mißbrauchen und es gegen die Kirche in Polen zu wenden, indem Unruhe und Konflikte provoziert werden.

Wir erklären, daß die Aktion des Aufstellens von Kreuzen in der Kiesgrube ohne Genehmigung des zuständigen Diözesanbischofs geschehen ist, sogar gegen seinen Willen. Sowohl der Primas wie auch der Ortsbischof und andere Bischöfe haben ihren Protest gegen solches Handeln geäußert und zu Dialog und Achtung vor anderen Meinungen aufgerufen. Das willkürliche Aufstellen der Kreuze in der Kiesgrube hat den Charakter einer Provokation und ist der Achtung unwürdig, die dieser Ort verdient. Wir drücken unser Bedauern darüber aus, daß einige diese Provokation nicht erkannt haben und – in gutem Glauben handelnd – Kreuze zu Werkzeugen des Unfriedens gemacht haben. Die auf diese Weise organisierte Aktion verletzt sowohl das Andenken der Ermordeten wie auch das Wohl der Kirche und des Volkes, und es verletzt ebenso schmerzhaft die andere Sensibilität unserer jüdischen Geschwister.

Das Kreuz, das für uns Christen das höchste Zeichen für Liebe und Hingabe ist, darf nie als Mittel des Kampfes gegen irgendjemanden benutzt werden. Es geshah am Kreuz, daß Jesus die Mauer der Feindschaft, die die Menschen teilte, durchbrochen und alle mit Gott versöhnt hat. Das verpflichtet uns zu fragen: Sind wir ein deutliches Zeichen von Versöhnung und Frieden? Kann man nicht auf unser Verhalten die Worte des Briefes an die Hebräer anwenden: „Sie schlagen jetzt den Sohn Gottes noch einmal ans Kreuz und machen ihn zum Gespött“ (6,6)?

4. Wir wissen, liebe Gläubige, daß Ihr die uns teueren religiösen Symbole zu verteidigen versteht. Tut dies jedoch nicht, indem Ihr die Aussage des Kreuzes vermindert. Macht nichts, wodurch die Kiesgrube die ihr angemessene Bedeutung verliert; der wachsende Konflikt schadet der Kirche und wendet sich gegen unser Vaterland. Euere Verbundenheit mit dem Kreuz möge sich in Tätigkeiten voller Achtung ausdrücken, wie sie von der Kirche vorgeschlagen werden. Wir vertrauen darauf, daß die neu aufgestellten Kreuze einen würdigen Ort in unseren Pfarreien und Kirchen finden.

Wir drücken unsere Unterstützung für die Bemühungen des Bischofs der Diözese Bielsko-Żywiec aus und äußern gleichzeitig unseren Schmerz, daß einige seine Aufrufe nicht ernstnahmen und sich an Aktionen beteiligten, die aus dem Kreuz ein Werkzeug der Spaltung machten.

5. Wir wissen, daß die Kirche „mit dem jüdischen Volk durch besondere Zeichen des geistigen Erbes verbunden ist“ („Wir erinnern – Eine Reflexion über die Shoah“ Dokument der päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden). Bei Christen und Juden zeigt sich jedoch eine verschiedene Konzeption des Sinnes von Leid. Mit dem selben Vernichtungslager verbinden wir verschiedene Inhalte. Für die einen ist es das „Golgota unserer Zeit“, für die anderen Symbol völliger Vernichtung, die mit dem Wort „Schoah“ ausgedrückt wird. Das verlangt von uns gegenseitige Achtung unserer Verschiedenheit und verpflichtet uns gleichzeitig dazu, Lösungen zu suchen, die nicht verletzen und für beide Seiten anzunehmen sind. Versuche, anderen die eigenen Überzeugungen aufzuzwingen, lassen sich nicht mit dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe vereinen, das für Juden und Christen gleich ist (Deut 6,4-9; Lev 19,18; Mk 12,30-33).

6. Die Opfer der Vernichtung in Auschwitz vereinte das selbe Drama des Todes. Manche Meinungsmacher wollen heute die volle Wahrheit über die Ausmaße der Vernichtung, deren Symbol Auschwitz wurde, verschleiern. Nur durch einen ausdauernden Dialog, zu dem wir energisch aufrufen, können wir zu einer Veröffentlichung der vollen Wahrheit über den nazistischen Völkermord in den Vernichtungslagern kommen. Der Dialog zwischen Juden und Christen läßt erkennen und verstehen, was alle Opfer verbindet, und läßt die Shoah als „größtes Leiden“ und „wichtigstes Ereignis in der Geschichte unseres Jahrhunderts“ (Dokument der vatikanischen Komission, s.o.) erleben. Wir sind offen für den Dialog über die zukünftige Gestalt dieses Totenfeldes unserer Zeit, das das Lager Auschwitz-Birkenau ist. Wir erklären unsere Bereitschaft, Lösungen zu suchen, die für alle anzunehmen sind.

Gleichzeitig jedoch sind wir uns dessen bewußt, daß die Konzentrationslager sich auf dem Gebiet der III. Republik befinden und dadurch den Vorschriften des polnischen Rechtes unterstehen. Deshalb sind die Erwartungen von Polen verständlich, daß dieses Recht von allen geachtet wird, die Gelände ehemaliger Lager besuchen.

7. Wir wenden uns an alle Landleute mit einem herzlichen Appell, den wir mit den Worten Kardinal Wyszynskis, des Jahrtausendprimas, ausdrücken: „Wir haben ein Vaterland, und wir sind ihm Liebe, Dienst, Opfer und sogar den Tod schuldig, wenn das von uns verlangt wird. Aber damit wir dazu immer bereit seien, brauchen wir die Einheit in Christus und in der Kirche. Deshalb bitten wir auch alle, von denen es abhängt, daß sie diese Einheit nicht vernichten – weil das eine Gefährdung der Einheit des Vaterlandes wäre und in das Leben des Volkes Spaltungen brächte, also Streit und Zank“ (Jasna Góra, 3. Mai 1973).

In diesem Geist erleben wir die christliche Einheit, deren besonderes Zeichen das Kreuz ist, und wollen am 14. September – dem Fest der Kreuzerhöhung – in allen Pfarren einen Kreuzweggottesdienst halten, um so unsere Verbundenheit mit dem Kreuz auszudrücken.

8. Mit einer ebenso herzlichen Bitte wenden wir uns an die Juden, mit denen uns einzigartige und einmalige Bande des Glaubens verbinden: im NAMEN des GOTTES Abrahams, Isaaks und Jakobs, der für uns Christen auch der Gott Jesu Christi ist. Innig bitten wir um Fortsetzung des Dialoges, damit das gemeinsam vergossene Blut unserer Eltern und Großeltern, unserer Brüder und Schwestern uns dabei helfe, daß der Name Gottes von uns gemeinsam gepriesen werden kann.

Von den Hügeln von Tschenstochau schicken wir allen ein Zeichen der Liebe und des Friedens. Wir vertrauen darauf, daß die Königin von Polen in unseren Herzen die Treue zum Kreuz stärkt, die sich in Sorge um die Einheit der Kirche ausdrückt sowie im Gehorsam gegenüber Eueren Hirten.

Jasna Góra, am 26. August 1998.

(Übs. MD)