Brief an den Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz in den USA, Erzbischof John L. May, Vatikan, den 08. August 1987
[…] Voll unerschütterlicher Hoffnung und zutiefst beeindruckt, erinnern wir Christen uns an die Massenvernichtung, die Schoa, der die Juden während des 2. Weltkrieges ausgesetzt waren, und wir versuchen, deren wahre, besondere und allgemeingültige Bedeutung zu verstehen.
Wie ich vor kurzem in Warschau sagte, ist es gerade dieser schrecklichen Erfahrung wegen, daß das Volk Israel, seine Leiden und seine Vernichtung heute im Blickfeld der Kirche, aller Menschen und Nationen stehen – gleichsam als eine Warnung, ein Zeugnis und eine schweigende Anklage.
Angesichts der noch fortlebenden Erinnerung an diese Ausrottung, wie sie von den Überlebenden und den jetzt lebenden Juden geschildert wird und wie sie uns immer wieder aufs neue in Form der Pessach Haggada zur Betrachtung begegnet – so wie es in jüdischen Familien heutzutage üblich ist –, angesichts dieser Erinnerung ist es niemandem gestattet, mit Gleichgültigkeit daran vorbeizugehen. Die Betrachtung der Schoa zeigt uns, welch schreckliche Folgen der Mangel des Glaubens an Gott und die Verachtung für den nach seinem Ebenbild geschaffenen Menschen haben können. Dies zwingt uns auch, die notwendigen geschichtlichen und religiösen Studien über dieses Geschehen, das heute die ganze Menschheit betrifft, zu fördern.
[…] Zweifelsohne sind die von den Juden erduldeten Leiden auch für die katholische Kirche ein Grund aufrichtigen Schmerzes, vor allem, wenn man an die Gleichgültigkeit und Verstimmung denkt, die – unter bestimmten geschichtlichen Umständen – Juden und Christen trennten. Gerade dies bestärkt uns noch mehr in unserem Bemühen, zusammenzuarbeiten für die Gerechtigkeit und den wahren Frieden. […]