JOHANNES PAUL II.

Ansprache an die Repräsentanz der jüdischen Gemeinschaft Polens
am 14. Juni 1987 in Warschau

Ich möchte Ihnen zunächst vor allem danken für diese Begegnung, die in meinem Reiseprogramm ihren Platz gefunden hat. Sie ruft mir so viel in Erinnerung zurück, so viele Erfahrungen meiner Jugend – und sicherlich nicht nur meiner Jugend allein. Erinnerungen und Erfahrungen, die gut waren, dann furchtbar und schrecklich.

Seien sie versichert, liebe Brüder, daß die Polen, die polnische Kirche im Geist tiefer Solidarität mit euch verbunden ist, wenn sie aus der Nähe auf diese schreckliche Realität der Vernichtung – der bedingungslosen Vernichtung – eures Volkes sieht, einer Vernichtung, die mit Vorsatz ausgeführt wurde. Die Bedrohung für euch war auch eine Drohung gegen uns; sie wurde nicht im selben Ausmaß verwirklicht, weil die Zeit dazu nicht ausreichte.

Sie waren es, die diese schrecklichen Opfer erlitten haben: man könnte sagen, daß sie es auch erleiden mußten wegen jener, die ebenso zur Ausrottung bestimmt waren. Wir glauben an die reinigende Kraft des Leidens. Je grausamer das Leiden ist, um so größer die Läuterung. Je schmerzlicher die Erfahrungen, um so größer die Hoffnung.

Heute steht das Volk Israel wohl im Mittelpunkt des Interesses aller Nationen der Welt – vielleicht mehr als jemals zuvor – vor allem wegen seiner schrecklichen Erfahrung; dadurch wurden Sie zu einer lauten, warnenden Stimme für die ganze Menschheit, für alle Nationen, alle Mächte dieser Welt, alle Systeme und jeden Menschen. Mehr als irgend jemand sonst sind Sie es, die zu dieser rettenden Warnung wurden. In diesem Sinne setzen Sie eine besondere Berufung fort und erweisen sich immer noch als die Erben jener Auserwählung, der Gott treu ist. Dies ist Ihre Sendung in der Welt von heute, vor den Völkern, den Nationen, der ganzen Menschheit, der Kirche. Und in dieser Kirche fühlen alle Völker und Nationen sich mit Ihnen in dieser Sendung verbunden. Mit Sicherheit empfinden Sie die große Bedeutung Ihres Volkes und seiner Leiden, seines Holocausts, wenn Sie eine Warnung für den einzelnen und die Nationen aussprechen wollen; in eurem Namen erhebt der Papst seine Stimme zu dieser Warnung. Der polnische Papst hat eine besondere Beziehung zu all dem, weil er gemeinsam mit euch in gewisser Weise all dies hier in seinem Land erlebt hat.

Dies ist nur ein Gedanke, den ich Ihnen darlegen wollte, dankbar, daß Sie hierher zu dieser Begegnung gekommen sind. Es gab viele Begegnungen mit euren Brüdern in verschiedenen Ländern der Welt. Ich kann nicht den letztjährigen Besuch in der Synagoge von Rom vergessen, den ersten Besuch nach sehr vielen Jahrhunderten. Ich bewerte diese Begegnung in Polen in einer besonderen Weise: sie ist besonders bedeutsam für mich, und ich glaube, daß sie auch in besonderer Weise Frucht tragen wird. Sie hilft mir und der ganzen Kirche, uns noch stärker dessen bewußt zu werden, was uns im Plan des Göttlichen Bundes vereint, wie Ihr Sprecher soeben formuliert hat. Dies ist es, was uns in der Welt von heute verbindet, angesichts der großen Aufgaben, die diese Welt Ihnen und der Kirche im Bereich von Gerechtigkeit und Frieden unter den Nationen stellt – gemäß Ihrem biblischen „Schalom“. Ich danke Ihnen für die Worte im Geist der Heiligen Schrift, im Geist des Glaubens an denselben Gott, der Ihr und unser Gott ist, der Gott Abrahams. Ich richte meinen Friedensgruß in großem Respekt an die wenigen Erben der großen jüdischen Gemeinschaft, vielleicht der größten in der Welt, die hier in Polen existierte. Schalom!