Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder
vom 18. November 1965

und die Antwort der deutschen Bischöfe
vom 5. Dezember 1965

Hochwürdige Konzilsbrüder!

Es sei uns gestattet, ehrwürdige Brüder, ehe das Konzil sich verab­schiedet, unseren nächsten westlichen Nachbarn die freudige Bot­schaft mitzuteilen, daß im nächsten Jahr ‑ im Jahre des Herrn 1966 ‑ die Kirche Christi in Polen und mit ihr zusammen das gesamte pol­nische Volk das Millenium seiner Taufe und damit auch die Tau­sendjahrfeier seines nationalen und staatlichen Bestehens begehen wird.

Wir laden Sie hiermit in brüderlicher, aber auch zugleich in feierlich­ster Weise ein, an den Kirchenfeiern des polnischen Milleniums teil­zunehmen; der Höhepunkt des polnischen Te deum laudamus soll Anfang Mai 1966 auf der Jasna Gära, bei der heiligen Mutter Gottes, der Königin Polens, stattfinden.

Die folgenden Ausführungen mögen als historischer und zugleich auch sehr aktueller Kommentar unseres Milleniums dienen und vielleicht auch mit Hilfe Gottes unsere beiden Völker im gegenseiti­gen Dialog einander noch näherbringen.

Es steht geschichtlich einwandfrei fest, daß im Jahr 966 der polni­sche Herzog Mieszko I. durch Einfluß seiner Gemahlin, der tsche­chischen Königstochter Dombrowka, zusammen mit seinem Hof­staat als erster polnischer Herzog das heilige Sakrament der Taufe empfing.

Von diesem Augenblick an wurde das christliche Missionswirken in Polen ‑ seit Generationen durch christliche Apostel schon vorher in unserem Land verkündet ‑ im ganzen polnischen Volksraum ver­breitet.

Der Sohn und Nachfolger Mieszkos, Bolesław Chrobry (der Tapfere) setzte das Christianisierungswerk seines Vaters fort und erwirkte vom damaligen Papst Silvester II. die Errichtung einer eigenen pol­nischen Hierarchie mit der ersten Metropole in Gniezno (Gnesen) und drei Suffraganbistümern Kraków, Wrocław, Kołobrzeg (Krakau, Breslau, Kolberg). Bis 1821 blieb Gniezno weiterhin Metropole des Breslauer Bistums. Im Jahre 1000 begab sich der damalige Herrscher des Römischen Imperiums, der Kaiser Otto III., zusammen mit Bo­lesław Chrobry als Pilger zum Märtyrerschrein des heiligen Woj­ciech‑Adalbert, der einige Jahre vorher bei den baltischen Preußen den Märtyrertod erlitten hatte. Die beiden Herrscher, der römische und der zukünftige polnische König (er wurde kurz vor seinem Tode zum König gekrönt), gingen barfuß eine weite Strecke Weges zu den heiligen Gebeinen in Gniezno, die sie alsdann mit großer Andacht und innerer Ergriffenheit verehrten.

Das sind die geschichtlichen Anfänge des christlichen Polens und zugleich auch die Anfänge seiner nationalen und staatlichen Ein­heit. Auf diesen Fundamenten ‑ christlich, kirchlich, national und staatlich zugleich ‑ wurde sie durch alle Generationen weiter ausge­baut von Herrschern, Königen, Bischöfen und Priestern, 1000 Jahre hindurch. Die Symbiose Christentum, Kirche, Staat bestand in Po­len seit Anfang und wurde eigentlich nie gesprengt. Sie erzeugte mit der Zeit die fast allgemeine polnische Denkart: Polnisch ist zugleich katholisch. Aus ihr heraus entstand auch der polnische Religionsstil, in dem seit Anfang an das Religiöse mit dem Nationalen eng verwo­ben und verwachsen ist, mit allen positiven, aber auch negativen Seiten dieses Problems.

Zu diesem religiösen Lebensstil gehört auch seit jeher als sein Hauptausdruck der polnische Marienkult. Die ältesten polnischen Kirchen sind der Mutter Gottes geweiht (u.a. die Gnesener Metro­politan‑Kathedrale); das älteste polnische Lied, sozusagen das Wie­genlied des polnischen Volkes, ist ein bis heute noch gesungenes Marienlied: „Bogurodzica‑dziewica, Bogiem Sławiona Maryja“ (Got­tesgebärerin ‑ Jungfrau Maria). Die Tradition bringt sein Entstehen mit dem heiligen Wojciech zusammen, ähnlich wie die Legende es mit den polnischen weißen Adlern im Nest von Gniezno tut. Diese und ähnliche Traditionen und Volkslegenden, welche die Ge­schichtstatsachen wie Efeu umranken, haben das Gemeinsame von Volk und Christentum so eng miteinander verwoben, daß man sie einfach schadlos nicht auseinanderbringen kann. Von ihnen her wird alles spätere polnische Kulturgeschehen, die gesamte polnische na­tionale und kulturelle Entwicklung, bestrahlt, ja sogar zu einem Großteil geprägt.

Die allerneueste Geschichtsschreibung gibt diesen unseren Anfän­gen folgende politische und kulturelle Bedeutung: „In der Begeg­nung mit dem Imperium Ottos des Großen vor einem Jahrtausend hat sich Polens Eintritt in die lateinische Christenheit vollzogen, und durch die bewundernswert geschickte Politik Mieszkos I. und sodann Bolesław des Tapferen ist es zu einem gleichberechtigten Glied des universal konzipierten, auf Erfassung der gesamten nicht­byzantinischen Welt gerichteten Imperium Romanum Ottos III. ge­worden, womit Polen einen entscheidenden Beitrag zu der Gestal­tung des östlichen Europa geleistet hat…“

Damit war die Grundlage gelegt und die Form und Voraussetzung geschaffen für die kommenden fruchtbaren deutsch‑polnischen Be­ziehungen und die Ausbreitung der abendländischen Kultur.
Leider sind die deutsch‑polnischen Beziehungen im späteren Ver­lauf der Geschichte nicht immer fruchtbar geblieben und haben sich sozusagen in den letzten Jahrhunderten in eine Art nachbarliche „Erbfeindschaft“ verwandelt. Darüber später.

Der Anschluß des neuen polnischen Königreiches an das Abend­land, und zwar mit Hilfe des Papsttums, dem sich die polnischen Könige immer wieder zur Verfügung stellten, brachte im Mittelalter einen in jeder Hinsicht regen und äußerst reichen Austausch zwi­schen Polen und den abendländischen Völkern, insbesondere mit den süddeutschen Ländern, aber auch Burgund und Flandern, mit Italien und später mit Frankreich und Österreich und den italieni­schen Renaissancestaaten, wobei natürlicherweise Polen als jünge­res Staatsgebilde, als jüngster von den älteren Brüdern des christli­chen Europas, anfangs mehr der nehmende als der gebende Teil war.

Es wurden zwischen Kalisz und Kraköw, der polnischen Königsstadt des Mittelalters, und zwischen Bamberg, Speyer, Mainz, Prag, Paris, Köln und Lyon und Clairvaux und Gent nicht nur Waren ausge­tauscht. Es kamen aus dem Westen die Benediktiner, die Zisterzien­ser und später die Bettelorden und erhielten in Polen, im christlichen Neuland, sofort einen schwunghaften Auftrieb; dann kam im Mittelalter das deutsche Magdeburger Recht dazu, das bei polni­schen Stadtgründungen große Dienste leistete. Es strömten auch nach Polen deutsche Kaufleute, Architekten, Künstler und Siedler, von denen sehr viele im polnischen Volkstum aufgingen: Ihre deut­schen Familiennamen ließ man ihnen. In der großen Krakauer Bür­gerkirche St. Maria finden wir noch heute die Grabinschriften zahl­reicher deutscher Familien aus dem Mittelalter, die mit der Zeit alle polnisch geworden sind, woraus Hitler und andere ‑ unseligen Ge­denkens ‑ den einfachen Schluß zogen, daß Kraków und ganz Polen nur eine deutsche Siedlung seien und demgemäß behandelt werden müssen. ‑ Das klassische Beispiel deutsch‑polnischer Zusammenar­beit in Kultur und Kunst im hohen Mittelalter ist wohl der weltbe­rühmte Bildhauer Veit Stoß aus Nürnberg (Wit Stwosz), der fast sein ganzes Leben lang in Kraków wirkte; seine Werke dort sind alle vom Genius loci der polnischen Umgebung inspiriert: Er schuf in Kra­köw eine eigene Künstlerschule, die noch Generationen hindurch nachwirkte und das polnische Land befruchtete.

Die Polen haben ihre Brüder aus dem christlichen Westen, die als Boten der wahren Kultur zu ihnen kamen, sehr geehrt und ver­schwiegen niemals ihre nichtpolnische Stammesherkunft. Wir haben der abendländischen ‑ auch der deutschen ‑ Kultur wahrhaftig sehr viel zu verdanken.

Es kamen auch aus dem Westen zu uns Apostel und Heilige, und sie gehören wohl zu dem Wertvollsten, was uns das Abendland ge­schenkt hat. Ihr segensreiches soziales Wirken spüren wir vielerorts noch heute. Zu den bekanntesten zählen wir den heiligen Bruno von Querfurt, „Bischof der Heiden“ genannt, der den slawischen und litauischen Nordosten im Einvernehmen mit Bolesław Chrobry evangelisierte. Dann ganz besonders die heilige Hedwig (Jadwiga), Herzogin von Schlesien, aus Andechs gebürtig, Gemahlin des polni­schen Piastenfürsten Heinrich des Bärtigen (Brodaty) von Schlesien und Gründerin des Zisterzienserinnenklosters von Trzebnica (Treb­nitz), wo sie ihre Grabstätte gefunden hat. Sie ist im 13. Iahrhundert die größte Wohltäterin des polnischen Volkes in den damaligen Westgebieten des Piastenpolens, in Schlesien, geworden. Es steht hi­storisch ziemlich fest, daß sie, um dem polnischen einfachen Volk dienen zu können, sogar die polnische Sprache lernte. Nach ihrem Tode und ihrer baldigen Heiligsprechung strömten ohne Unterlaß Scharen des polnischen und deutschen Volkes zu ihrer Grabstätte in Trzebnica ‑ später Trebnitz genannt. Und sie tun es noch heute zu Tausenden und Abertausenden. Niemand macht unserer großen Landesheiligen den Vorwurf, daß sie deutschen Geblütes war; im Gegenteil, man sieht sie allgemein ‑ von einigen nationalistischen Fanatikern abgesehen ‑ als den besten Ausdruck eines christlichen Brückenbaues zwischen Polen und Deutschland an ‑, wobei wir uns freuen, auch auf deutscher Seite recht oft dieselbe Meinung zu hö­ren. Brücken bauen zwischen Völkern können eben am besten nur heilige Menschen, nur solche, die eine lautere Meinung und reine Hände besitzen. Sie wollen dem Brudervolke nichts wegnehmen, weder Sprache noch Gebräuche, noch Land, noch materielle Güter; im Gegenteil: Sie bringen ihm höchst wertvolle Kulturgüter, und sie geben ihm gewöhnlich das Wertvollste, was sie besitzen: sich selbst, und werfen damit den Samen ihrer eigenen Persönlichkeit in den fruchtbaren Boden des neuen Missionsnachbarlandes; dieser trägt dann gemäß dem Heilandswort hundertfache Früchte, und zwar Ge­nerationen hindurch. So sehen wir in Polen die heilige Hewig von Schlesien, so sehen wir auch alle anderen Missionare und Märtyrer, die, aus den westlich gelegenen Ländern kommenden, in Polen wirkten mit dem schon erwähnten Märtyrerapostel Wojciech‑Adal­bert aus Prag an der Spitze. Darin besteht auch wohl der allertiefste Unterschied zwischen echter christlicher Kulturmission und dem so­genannten, heute zu Recht verpönten Kolonialismus.

Nach dem Jahre 1200, als das polnische Land immer christlicher wurde in seinen Menschen und Institutionen, wuchsen ihm eigene polnische Heilige heran.

Schon im 12. Jahrhundert war es der Bischof Stanislaus Szczepa­nowski von Kraków, Bekenner und Märtyrer, vom König Bolesław dem Verwegenen am Altare erschlagen. (Der König selbst starb als heiligmäßiger Büßer in der Verbannung in einem Kloster in Ober­österreich.) Am Grabe des heiligen Stanislaus in der königlichen Domkirche von Kraków entstand das majestätische Lied zu seiner Ehre, heute überall in Polen lateinisch gesungen: „Gaude mater Po­lonia, prole foecunda nobili…“

Dann erschien am Firmament das heilige polnische Dreigestirn aus der Familie der Odrowaz (ein altes Geschlecht, das lange Jahrhun­derte an der Oder in Oberschlesien seinen Sitz hatte). Der größte von ihnen ist der heilige Hyazinth ‑ polnisch Jacek genannt ‑, ein Dominikanerapostel, der ganz Osteuropa von Mähren bis zum Balti­kum, von Litauen bis Kiew mit Riesenschritten durchmaß. Sein Ver­wandter, der selige Czesław, ebenfalls Dominikaner, der die dama­lige Stadt Wrocław gegen die Mongolen verteidigte und im heutigen Wrociaw, in der neuerbauten Wojciech‑(Adalbert‑)Kirche begraben ist, wird von der frommen Bevölkerung als Patron der aus den Trümmem von 1945 wiedererstandenen Stadt verehrt. Und schließ­lich ruht in Kraköw die selige Bronisława, der Tradition nach Schwe­ster des seligen Czesław, eine Norbertanerin aus Schlesien.

Die Sterne am Heiligenhimmel werden immer mehr: In Sącz die se­lige Kunigunde, in Gniezno Bogumil und die selige Jolanta, in Ma­sowien Władysław, auf der Königsburg in Kraków die heiligmäßige Königin Jadwiga, eine neue polnische Hedwig, die auf ihre Heilig­sprechung wartet. Später kamen neue Heilige und Märtyrer dazu: der heilige Stanislaus Kostka, Jesuitennovize in Rom, der heilige Jo­hannes Kantius, Professor an der Jagiellonischen Universität in Kra­ków, der heilige Andreas Bobola, Märtyrer in Ostpolen, 1938 heilig­gesprochen, und andere Heilige bis zum Franziskanerpater Maximi­lian Kolbe, dem Märtyrer vom Konzentrationslager Auschwitz, der sein Leben für seine Mitbrüder freiwillig hingab. Gegenwärtig war­ten in Rom etwa 30 polnische Kandidaten auf ihre Heilig‑ und Selig­sprechung. ‑ Unser Volk ehrt seine Heiligen und betrachtet sie als die edelste Frucht, die ein christliches Land hervorbringen kann.

Die obengenannte polnische Universität in Kraków war die erste dieser Art neben Prag im ganzen osteuropäischen Raum. Gegründet schon im Jahre 1363 von König Kasimir dem Großen (Kazimierz Wielki), war sie Jahrhunderte hindurch Zentrum nicht nur politi­scher, sondern auch universaler europäischer Kulturstrahlung nach allen Richtungen, im besten Sinne des Wortes. ‑ Im 15. und 16. Jahr­hundert, als die schlesischen Piastenländer nicht mehr zum polni­schen Königreich gehörten, studierten in Kraków und dozierten da­selbst Tausende von Studenten und Professoren aus Wratislavia (Breslau), Raciborz (Ratibor), Gliwice (Gleiwitz), Glogow (Glogau), Nyse (Neisse), Opole (Oppeln) und vielen anderen Städten Schle­siens. Ihre Namen und die Namen ihrer Geburtsorte sind in diesem polnisch‑lateinischen Idiom in den alten Universitätsregistern ver­zeichnet. Auch Nicolaus Kopernik (Copernicus) wird da namentlich angeführt. Er studierte in Kraków Astronomie beim Professor Martin Bylica. Hunderte von Gelehrten von höchstem wissenschaftli­chen Rang hat diese Universität hervorgebracht und der europä­ischen Kultur geschenkt: Mathematiker, Physiker, Mediziner, Rechtsgelehrte, Astronomen, Historiker und Kulturphilosophen. Unter ihnen befindet sich auch der berühmte Paulus Włodkowic, Rektor der Krakauer Universität, der auf dem Konzil in Konstanz frank und frei, mit höchster Gelehrtenautorität, eine für damalige Zeiten unerhörte religiöse und humane Toleranz lehrte und mit großem persönlichem Mut den Standpunkt vertrat: Die heidnischen Völker Osteuropas seien kein Freiwild, das man mit Feuer und Schwert bekehren soll und darf. Sie haben natürliche Menschen­rechte genauso wie die Christen…

Włodkowic war sozusagen der klassische Ausdruck des polnischen toleranten und freiheitlichen Denkens. Seine Thesen waren gegen die deutschen Ordensritter, die sogenannten „Kreuzritter“, gerichtet, die damals im slawischen Norden und in den preußischen und balti­schen Ländern die dortigen Ureinwohner eben mit Feuer und Schwert bekehrten und für das europäische Christentum und sein Symbol, das Kreuz, aber auch für die Kirche, in deren Namen sie auftraten, im Laufe der Jahrhunderte eine furchtbare und äußerst kompromittierende Belastung geworden sind. Noch heute, nach vie­len Generationen und Jahrhunderten, ist die Bezeichnung „Krzy­żak“ (Kreuzritter) Schimpfwort und Schreckgespenst für jeden Polen und wird leider nur allzuoft von alters her mit dem Deutschtum identifiziert. ‑ Aus dem Siedlungsgebiet der „Kreuzritter“ sind später jene Preußen hervorgegangen, die alles Deutsche in polnischen Landen in allgemeinen Verruf brachten. Sie sind in der geschicht­lichen Entwicklung repräsentiert durch folgende Namen: jener Al­brecht von Preußen, Friedrich der sog. Große, Bismarck und schließ­lich Hitler als Endpunkt.

Friedrich II. wird seit jeher vom ganzen polnischen Volk als der Haupturheber der Teilung Polens angesehen, und zweifellos nicht ganz zu Unrecht. Hundertfünfzig Jahre lebte das polnische Millio­nenvolk aufgeteilt von den drei damaligen Großmächten: Preußen, Rußland und Österreich, bis es 1918 am Ende des Ersten Weltkrieges langsam aus seinem Grabe hervorkommen konnte; bis zum äußer­sten geschwächt, begann es damals wieder unter größten Schwierig­keiten eine neue eigenstaatliche Existenz…

Nach kurzer Unabhängigkeit von etwa 20 Jahren (1918 bis 1939) brach über das polnische Volk ohne seine Schuld das herein, was man euphemistisch einfach als Zweiten Weltkrieg bezeichnet, was aber für uns Polen als totale Vernichtung und Ausrottung gedacht war. Über unser armes Vaterland senkte sich eine furchtbare finstere Nacht, wie wir sie seit Generationen nicht erlebt hatten. Sie wird bei uns allgemein „deutsche Okkupationszeit“ genannt und ist unter diesem Namen in die polnische Geschichte eingegangen. Wir waren alle macht‑ und wehrlos. Das Land war übersät mit Konzentrations­lagern, in denen die Schlote der Krematorien Tag und Nacht rauch­ten. Über sechs Millionen polnischer Staatsbürger, darunter der Großteil jüdischer Herkunft, haben diese Okkupationszeit mit ih­rem Leben bezahlen müssen. Die führende polnische Intelligenz­schicht wurde einfach weggefegt. Zweitausend polnische Priester und fünf Bischöfe (ein Viertel des damaligen Episkopates) wurden in Lagern umgebracht. Hunderte von Priestern und Zehntausende von Zivilpersonen wurden bei Ausbruch des Krieges an Ort und Stelle erschossen (778 Priester allein in der Diözese Kulm). Die Diö­zese Wloctawek allein verlor im Kriege 48 Prozent ihrer Priester, die Diözese Kulm 47 Prozent. Viele andere waren ausgesiedelt. Alle Mittel‑ und höheren Schulen waren geschlossen. Die Priestersemi­narien waren aufgehoben. Jede deutsche Uniform, nicht nur die SS, wurde für alle Polen nicht nur ein Schreckgespenst, sondern auch Gegenstand eines Deutschenhasses. Alle polnischen Familien hat­ten ihre Todesopfer zu beklagen. Wir wollen nicht alles aufzählen, um die noch nicht vernarbten Wunden nicht wieder aufzureißen. Wenn wir an diese polnische, furchtbare Nacht erinnern, dann nur deswegen, damit man uns heute einigermaßen versteht, uns selbst und unsere heutige Denkart… Wir versuchen zu vergessen. Wir hof­fen, daß die Zeit ‑ der große göttliche Kairos ‑ die geistigen Wunden langsam heilen wird.

Nach alledem, was in der Vergangenheit geschehen ist ‑ leider erst in der allerneuesten Vergangenheit ‑, ist es nicht zu verwundern, daß das ganze polnische Volk unter dem schweren Druck eines elemen­taren Sicherheitsbedürfnisses steht und seinen nächsten Nachbarn im Westen immer noch mit Mißtrauen betrachtet. Diese geistige Haltung ist sozusagen unser Generationsproblem, das, Gott gebe es, bei gutem Willen schwinden wird und schwinden muß. In den schweren politischen und geistigen Nöten des Volkes, in seiner jahr­hundertelangen Zerrissenheit sind die katholische Kirche und die Heilige Jungfrau immer der Rettungsanker und das Symbol der na­tionalen Einheit des Volkes geblieben, zusammen mit der polni­schen Familie. In allen Freiheitskämpfen während der Unterdrüc­kungszeit gingen die Polen mit diesen Symbolen auf die Barrikaden, die weißen Adler auf der einen Seite ‑ die Muttergottes auf der an­deren Seite der Freiheitsfahne. Die Devise war immer: „Für eure und unsere Freiheit.“

Das ist etwa ‑ in ganz allgemeinen Abrissen gezeichnet ‑ die tau­sendjährige Entwicklung der polnischen Kulturgeschichte mit be­sonderer Berücksichtigung der deutsch‑polnischen Nachbarschaft. Die Belastung der beiderseitigen Verhältnisse ist immer noch groß und wird vermehrt durch das sogenannte „heiße Eisen“ dieser Nach­barschaft. Die polnische Westgrenze an Oder und Neiße ist, wie wir wohl verstehen, für Deutschland eine äußerst bittere Frucht des letzten Massenvernichtungskrieges ‑ zusammen mit dem Leid der Millionen von Flüchtlingen und vertriebenen Deutschen (auf inter­alliierten Befehl der Siegermächte ‑ Potsdam 1945! ‑ geschehen). Ein großer Teil der Bevölkerung hatte diese Gebiete aus Furcht vor der russischen Front verlassen und war nach dem Westen geflüchtet. ‑ Für unser Vaterland, das aus dem Massenmorden nicht als Sieger­staat, sondern bis zum äußersten geschwächt hervorging, ist es eine Existenzfrage (keine Frage „größeren Lebensraumes“!); es sei denn, daß man ein über 30‑Millionen‑Volk in den engen Korridor eines „Generalgouvernements“ von 1939 bis 1945 hineinpressen wollte ‑ ohne Westgebiete; aber auch ohne Ostgebiete, aus denen seit 1945 Millionen von polnischen Menschen in die „Potsdamer Westge­biete“ hinüberströmen mußten. Wo sollten sie auch damals hin, da ja das sogenannte Generalgouvernement zusammen mit der Haupt­stadt Warschau in Schutt und Trümmern lag. Die Vernichtungswel­len des letzten Krieges sind nicht nur einmal, wie in Deutschland, sondern seit 1914 mehrere Male über die polnischen Lande hinweg­gebraust, und zwar hin und zurück wie apokalyptische Reiter, und haben jedesmal Schutt und Trümmer, Armut, Krankheit, Seuchen und Tränen und Tod und wachsende Vergeltungs‑ und Haßkomplexe hinterlassen.

Seid uns wegen dieser Aufzählung dessen, was im letzten Abschnitt unserer tausend Jahre geschehen ist, liebe deutsche Brüder, nicht gram! Es soll weniger eine Anklage als vielmehr eine eigene Recht­fertigung sein! Wir wissen sehr wohl, wie ganz große Teile der deutschen Bevölkerung jahrelang unter übermenschlichem nationalso­zialistischem Gewissensdruck standen, wir kennen die furchtbaren inneren Nöte, denen seinerzeit rechtschaffene und verantwortungs­volle deutsche Bischöfe ausgesetzt waren, um nur die Namen Kardi­nal von Faulhaber, von Galen, von Preysing zu erwähnen. Wir wis­sen um die Märtyrer der weißen Rose, die Widerstandskämpfer des 20. Juli, wir wissen, daß viele Laien und Priester ihr Leben opferten (Lichtenberg, Metzger, Klausener und viele andere). Tausende von Deutschen teilten als Christen und Kommunisten in den Konzen­trationslagern das Los unserer polnischen Brüder…

Und trotz alledem, trotz dieser fast hoffnungslos mit Vergangenheit belasteten Lage, gerade aus dieser Lage heraus, hochwürdige Brü­der, rufen wir Ihnen zu: Versuchen wir zu vergessen! Keine Polemik, kein weiterer kalter Krieg, aber der Anfang eines Dialogs, wie er heute vom Konzil und von Papst Paul Vl. überall angestrebt wird. Wenn echter guter Wille beiderseits besteht ‑ und das ist wohl nicht zu bezweifeln ‑, dann muß ja ein ernster Dialog gelingen und mit der Zeit gute Früchte bringen ‑ trotz allem, trotz heißer Eisen. ‑ Es scheint uns gerade im ökumenischen Konzil ein Gebot der Stunde zu sein, daß wir diesen Dialog auf bischöflicher Hirtenebene begin­nen, und zwar ohne Zögern, daß wir einander näher kennenlernen, unsere gegenseitigen Volksbräuche, den religiösen Kult und Lebens­stil, in der Vergangenheit verwurzelt und gerade durch diese Kultur­vergangenheit bedingt.

Wir haben versucht, uns mit dem gesamten polnischen Gottesvolk auf die Tausendjahrfeier durch die sogenannte große Novene unter dem hohen Patronat der allerseligsten Jungfrau Maria vorzuberei­ten. Neun Jahre hindurch (1957 bis 1965) haben wir im Sinne des „per Mariam ad Jesum“ die Kanzel in Polen, aber auch die gesamte Seelsorge auf wichtige moderne Seelsorgeprobleme und soziale Aufgaben eingesetzt: Jugendseelsorge, sozialer Aufbau in Gerech­tigkeit und Liebe, soziale Gefahren, nationale Gewissenserfor­schung, Ehe und Familienleben, katechetische Aufgaben und ähn­liche.

Das ganze gläubige Volk nahm auch geistig regsamsten Anteil am Ökumenischen Konzil durch Gebet, Opfer und Bußwerke. Während der Konzilssitzungen fanden jeweils in allen Pfarrgemeinden Bittan­dachten statt, und das heilige Bild der Muttergottes sowie die Beichtstühle und Kommunionbänke in Częstochowa waren wo­chenlang belagert von Pfarrdelegationen aus ganz Polen, die durch persönliches Opfer und Gebet helfen wollten.

Schließlich haben wir uns in diesem Jahr, dem letzten der großen Novene, alle der Mutter Gottes geweiht, Bischöfe, Priester, Ordens­leute sowie alle Stände unseres gläubigen Volkes. Vor den ungeheu­ren Gefahren moralischer und sozialer Art, welche die Seele unseres Volkes, aber auch seine biologische Existenz bedrohen, kann uns nur die Hilfe und Gnade unseres Erlösers retten, die wir durch die Vermittlung seiner Mutter, der allerseligsten Jungfrau, herabflehen wollen. Voll kindlichen Vertrauens werfen wir uns in ihre Arme. Nur so können wir innerlich frei werden als dienende und zugleich freie Kinder ‑ ja sogar als „Sklaven Gottes“, wie es der heilige Paulus nennt.

Wir bitten Sie, katholische Hirten des deutschen Volkes, versuchen Sie auf Ihre eigene Art und Weise, unser christliches Millenium mit­zufeiern, sei es durch Gebet, sei es durch einen besonderen Ge­denktag. Für jede Geste dieser Art werden wir Ihnen dankbar sein. Überbringen Sie auch, wir bitten Sie darum, unsere Grüße und un­seren Dank den deutschen evangelischen Brüdern, die sich mit uns und mit Ihnen abmühen, Lösungen für unsere Schwierigkeiten zu finden.

In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausge­streckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millen­nium feiern. Wir laden Sie dazu herzlichst nach Polen ein.

Das walte der barmherzige Erlöser und die Jungfrau Maria, die Kö­nigin Polens, die Regina Mundi und Mater Ecclesiae.

Rom, 18. November 1965

Die Unterzeichner des polnischen Briefes:
Stefan Cardinalis Wyszyliski, Primas Poloniae
Antonius Baraniak, Archiepiscopus Posnaniensis
Bolesiaw Kominek, Archiepp. Tit. in Wrociaw
Carolus Wojtyla, Archiepiscopus Metropolita Cracoviensis
Antono Pawlowski, Episcopus Vladislaviensis
Casimirus Joseph Kowalski, Episcopus Culmensis
Michael Klepacz, Episcopus Lodzensis, Ord.
Czestaw Falkowski, Episcopus Lomzensis
Petrus Kalwa, Episcopus Lublinensis
Franciscus Jop, Episcopus in Opole
Herbertus Bednorz, Episcopus Coadiutor Katovicensis
Stefan Barela, Episcopus Czestochoviensis
Bogdan Sikorski, Episcopus Plocensis
Edmund Nowicki, Episcopus Gedanensis
Joannes Jaroszewicz, Admin. Apost. Kielcensis
Jerzy Ablewicz, Episcopus Tarnovlensis
Joseph Drzazga, Episcopus Vic. co. p. Olsztyn
Stanistaw Jakiel, Vic. Cap. Przemygl
Andrzej Wronka, Episcopus Auxil. in Wroclaw
Venceslaus Majewski, Episcopus Auxil. Varsaviensis
Georgius Stroba, Episcopus Auxil. in Gorzöw
Franciscus Jedwabski, Episcopus Auxil. in Pozriafi
Julianus Groblicki, Episcopus Auxil. Cracoviensis
Carolus Pgkala, Episcopus Auxil. in Tarnöw
Zygfryd Kowalski, Episcopus Auxil. Culmensis
Georgius Modzelewski, Episcopus Auxil. Varsaviensis
Jan Wosifiski, Episcopus Auxil. Plocensis
Bogdan Bejze, Episcopus Auxil. Lodzensis
Thaddaeus Szyagrzyk, Episcopus Auxil. Czestochoviensis
Venceslaus Skomorucha, Episcopus Auxil. in Siedlce
Jan Zargba, Episcopus Auxil. Vladislaviensis
Henricus Grzondziel, Episcopus Auxil. in Opole
Joseph Kurpas, Episcopus Auxil. Katovicensis
Ladislaus Rubin, Episcopus Auxil. Gnesnensis
Paulus Latusek, Episcopus Auxil. in Wroclaw
Joannes Czerniak, Episcopus Auxil. in Gnienzno


Die Antwort der deutschen Bischöfe an die polnischen Bischöfe
vom 5. Dezember 1965

Hochwürdigste Mitbrüder im bischöflichen Amt!

Mit Bewegung und Freude haben wir Ihre Botschaft vom 18. No­vember dieses Jahres und Ihre freundliche Einladung zur Tausend­jahrfeier der Christianisierung des polnischen Volkes empfangen. Wir betrachten es als eine kostbare Frucht unserer gemeinsamen Konzilsarbeit, daß Sie dieses Wort an uns richten konnten. Dankbar greifen wir es auf und hoffen, den begonnenen Dialog in Polen und in Deutschland miteinander fortsetzen zu können. Mit Gottes Hilfe wird dieses Gespräch die Brüderlichkeit zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk fördern und festigen.

Wir sind uns bewußt, wie schwer es für viele Christen in Europa war und noch ist, nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges die fun­damentale Wahrheit unseres Glaubens mit ganzem Herzen festzu­halten, daß wir Kinder des himmlischen Vaters und Brüder in Chri­stus sind. Diese christliche Brüderlichkeit fand im Jahre 1948 beim Kölner Domjubilämn durch den Besuch französischer und engli­scher Kardinäle und Bischöfe ihren ersehnten Ausdruck. So möge auch im kommenden Jahr das Millenium der Taufe Polens ein sol­ches Zeichen werden.

Sie haben uns in Ihrem Schreiben, ehrwürdige Brüder, in Erinne­rung gerufen, mit wie vielen Banden das polnische Volk seit Jahr­hunderten an das christliche Europa gebunden ist und welche Rolle es in der Geschichte dieses christlichen Europa gespielt hat ‑ und so, so hoffen wir, auch weiterhin spielen wird. Sie hatten dabei die Großherzigkeit, aus all diesen Jahrhunderten zunächst und vor al­lem Beispiele zu erwähnen, die sowohl Ihrem wie auch unserem Volke zur Ehre gereichen, Beispiele gemeinsamer Arbeit, aufrichti­ger Achtung, fruchtbaren Austausches und gegenseitiger Förderung, obwohl dies alles hätte zurücktreten können angesichts des Un­rechts und des Leides, das das polnische Volk im Laufe der Ge­schichte zu tragen hatte. Es ist ein tröstlicher Hinweis auf die von uns erhoffte und mit allen Mitteln zu erstrebende Zukunft, wenn Sie uns daran erinnern, wie die polnische Kirche im Mittelalter über alle Grenzen hinweg mit deutschen Städten, Gemeinden und Orden in vielfältigem Austausch gestanden hat. Es berührt uns tief, daß wir in der Verehrung der heiligen Hedwig vereint sind, die deutschen Geblütes und doch ‑ wie Sie schreiben ‑ die größte Wohltäterin des polnischen Volkes im 13. Jahrhundert war. Diese hellen Seiten des polnisch‑deutschen Verhältnisses in der Geschichte verdanken wir ohne Zweifel unserem gemeinsamen christlichen Glauben. Wir sind daher überzeugt und mit Ihnen, ehrwürdige Brüder, darin einig: Wenn wir über alle Unterschiede hinweg Brüder Christi sein wollen, wenn wir Bischöfe, wie es bei diesem Konzil deutlich wurde, zuerst und vor allem das Kollegium der Hirten sein wollen, die dem einen Volke Gottes dienen, und wenn wir so auch unsere Teilkirchen füh­ren, dann müssen die Schatten weichen, die leider noch immer über unseren beiden Völkern liegen.

Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volke angetan worden. Wir wissen, daß wir Folgen des Krieges tragen müssen, die auch für unser Land schwer sind. Wir verstehen, daß die Zeit der deutschen Besatzung eine brennende Wunde hinterlassen hat, die auch bei gutem Willen nur schwer heilt. Um so mehr sind wir dankbar, daß Sie angesichts dieser Tatsache mit wahrhaft christlicher Großmut anerkennen, wie in der Zeit des Na­tionalsozialismus auch ein großer Teil der deutschen Bevölkerung unter schwerem Gewissensdruck gestanden hat. Wir sind dankbar, daß Sie auch angesichts der Millionen polnischer Opfer jener Zeit sich an die Deutschen erinnern, die dem Ungeist widerstanden und zum Teil ihr Leben hingegeben haben. Es ist uns ein Trost, daß viele unserer Priester und Gläubigen in jener Nacht des Hasses betend und opfernd für das entrechtete polnische Volk eingetreten sind und für diese christliche Liebe Gefängnis und Tod auf sich genommen haben. Wir sind dankbar, daß Sie neben dem unermeßlichen Leid des polnischen Volkes auch des harten Loses der Millionen vertrie­bener Deutscher und Flüchtlinge gedenken.

Eine Aufrechnung von Schuld und Unrecht ‑ darin sind wir einer Meinung ‑ kann uns freilich nicht weiterhelfen. Wir sind Kinder des gemeinsamen himmlischen Vaters. Alles menschliche Unrecht ist zunächst eine Schuld vor Gott, eine Verzeihung muß zunächst von ihm erbeten werden. An ihn richtet sich zuerst die Vaterunserbitte „Vergib uns unsere Schuld!“ Dann dürfen wir auch ehrlichen Her­zens um Verzeihung bei unseren Nachbarn bitten. So bitten auch wir zu vergessen, ja wir bitten zu verzeihen. Vergessen ist eine menschliche Sache. Die Bitte um Verzeihung ist ein Anruf an jeden, dem Unrecht geschah, dieses Unrecht mit den barmherzigen Augen Gottes zu sehen und einen neuen Anfang zuzulassen.

Dieser Anfang ist besonders belastet durch die bitteren Folgen des von Deutschland begonnenen und verlorenen Krieges. Millionen von Polen mußten aus dem Osten in die ihnen zugewiesenen Ge­biete übersiedeln. Wir wissen wohl, was darum für das heutige Polen diese Gebiete bedeuten. Aber auch Millionen Deutsche mußten ihre Heimat verlassen, in der ihre Väter und Vorfahren lebten. Diese wa­ren nicht als Eroberer in das Land gezogen, sondern im Laufe der Jahrhunderte durch die einheimischen Fürsten gerufen worden. Deshalb müssen wir Ihnen in Liebe und Wahrhaftigkeit sagen: Wenn diese Deutschen von „Recht auf Heimat“ sprechen, so liegt darin ‑ von einigen Ausnahmen abgesehen ‑ keine aggressive Ab­sicht. Unsere Schlesier, Pommern und Ostpreußen wollen damit sa­gen, daß sie Rechtens in ihrer alten Heimat gewohnt haben und daß sie dieser Heimat verbunden bleiben. Dabei ist ihnen bewußt, daß dort jetzt eine junge Generation heranwächst, die das Land, das ih­ren Vätern zugewiesen wurde, ebenfalls als ihre Heimat betrachtet. Christliche Liebe versucht, sich jeweils in die Sorgen und Nöte des anderen hineinzuversetzen und so Spannungen und Grenzen zu überwinden. Sie will den Ungeist des Hasses, der Feindschaft und des Revanchismus ausmerzen. So wird sie dazu beitragen, daß alle unseligen Folgen des Krieges in einer nach allen Seiten befriedigen­den und gerechten Lösung überwunden werden. Sie dürfen über­zeugt sein, daß kein deutscher Bischof etwas anderes will und jemals etwas anderes fördern wird als das brüderliche Verhältnis beider Völ­ker in voller Aufrichtigkeit und ehrlichem Dialog.

Zu solcher Brüderschaft des guten Willens kann uns die Erfahrung des Konzils Mut machen. Auch beim Konzil waren die Wege nicht immer überschaubar. Nicht immer leuchtete das Ziel klar und deut­lich, und oft standen die Väter zögernd an Wegkreuzungen, aber dann wurde uns durch Gottes Gnade ein Weg gezeigt und manch­mal eine überraschende Lösung geschenkt. So hoffen wir mit Ihnen, daß Gott auch unseren beiden Völkern in Zukunft Lösungen zeigen wird, wenn wir ihm Beweise unseres guten Willens geben. Als Zeichen unseres guten Willens, ehrwürdige Brüder, wollen wir, in auf­richtiger Dankbarkeit für Ihre Einladung, als Pilger zu Ihrem Ma­rienheiligtum nach Tschenstochau kommen und Anteil nehmen an Ihrer und Ihres ganzen Volkes Freude. Wir wollen mit Ihnen an den Heiligtümern beten, wo das polnische Volk sich oft und besonders in der heutigen Zeit Kraft und Segen von Gott erbittet. Wir verspre­chen, unsere Gläubigen aufzufordern, sich im kommenden Marien­monat mit unserem und Ihrem Gebet zu vereinen.

Wir wollen alles tun, daß diese Verbindung nicht mehr abreißt. Im Jahr 1968 wird der Deutsche Katholikentag in Essen stattfinden. Im gleichen Jahr begeht das Bistum Meißen die Tausendjahr­feier seiner Gründung. Es wäre für uns und unsere Gläubigen eine große Freude, bei diesen Gelegenheiten polnische Bischöfe begrü­ßen zu dürfen. Bei unseren Einladungen haben wir mit Ihnen den Wunsch, daß die Begegnung der Bischöfe und der begonnene Dialog sich fortsetzen möge in allen Lebensbereichen unserer beiden Völ­ker. Alle Schritte, die diesem Ziel dienen können, werden wir von Herzen begrüßen. Darum erfüllen wir auch mit Freude Ihre Bitte, Ihren besonderen Gruß unseren evangelischen Brüdern in Deutsch­land zu übermitteln. Darüber hinaus dürfen wir uns in unseren Be­mühungen um gegenseitiges Verständnis einig wissen mit allen Menschen guten Willens.

Hochwürdigste Brüder! Das Konzil hat uns zusammengeführt an heiliger Stätte zu gemeinsamer Arbeit und gemeinsamem Gebet. Die Grotten von St. Peter bergen die kleine Kapelle der Tschensto­chauer Madonna. Dort fanden wir auch das Bild der heiligen Hed­wig, die Ihr Volk besonders verehrt und die Sie „als den besten Aus­druck eines christlichen Brückenbaues zwischen Polen und Deutschland“ ansehen.

Von dieser großen Heiligen wollen wir lernen, uns in Ehrfurcht und Liebe zu begegnen. Am Schluß Ihres Schreibens stehen die kostba­ren Worte, die für unsere beiden Völker eine neue Zukunft eröffnen können: „Wir strecken unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Mit brüderlicher Ehrfurcht ergreifen wir die dargebote­nen Hände. Der Gott des Friedens gewähre uns auf die Fürbitte der „regina pacis“, daß niemals wieder der Ungeist des Hasses unsere Hände trenne!

Rom, 5. Dezember 1965

Die Namen der deutschen Unterzeichner:
Jos. Card. Frings, Erzbischof von Köln
Julius Card. Döpfner, Erzbischof von München und Freising
Lorenz Card. Jaeger, Erzbischof von Paderborn
Josef Schneider, Erzbischof von Bamberg
Hermann Schäufele, Erzbischof von Freiburg
Alfred Bengsch, Erzbischof, Bischof von Berlin
Joseph Schröffer, Bischof von Eichstätt
Franz Hengsbach, Bischof von Essen
Adolf Bolte, Bischof von Fulda
Hermann Volk, Bischof von Mainz
Rudolf Graber, Bischof von Regensburg
Isidor Marcus Emanuel, Bischof von Speyer
Carl Jos. Leiprecht, Bischof von Rottenburg
Josef Stangl, Bischof von Würzburg
Wilhelm Kempf, Bischof von Limburg
Matthias Wehr, Bischof von Trier
Josef Stimpfle, Bischof von Augsburg
Heinrich Maria Janssen, Bischof von Hildesheim
Helmut Hermann Wittler, Bischof von Osnabrück
Johannes Pohlschneider, Bischof von Aachen
Otto Spülbeck, Bischof von Meißen
Joseph Höffner, Bischof von Münster
Gerhard Schaffran, Bischof und Kapitelsvikar in Görlitz
Heinrich Pachowiak, Weihbischof in Hildesheim
Walter Kampe, Weihbischof in Limburg
Johannes v. RudIoff, Weihbischof in Hamburg
Augustinus Frotz, Weihbischof in Köln
Eduard Schick, Weihbischof in Fulda
Hugo Aufderbeck, Weihbischof in Erfurt
Joseph Buchkremer, Weihbischof in Aachen
Heinrich Tenhumberg, Weihbischof in Münster i.W.
Alfons Kempf, Weihbischof in Würzburg
Julius Angerhausen, Weihbischof in Essen
Karl Gnädinger, Weihbischof in Freiburg
Joseph Zimmermann, Weihbischof in Augsburg
Carl Schmidt, Weihbischof in Trier
FriedrichRintelen,Weihbischof in Magdeburg 
Josephus Hiltl, Weihbischof in Regensburg
Wilhelm Cleven, Weihbischof in Köln
Bernardus Stein, Weihbischof in Trier
Bernhard Schräder, Weihbischof in Schwerin
K Josef Maria Reuss, Weihbischof in Mainz