2008-2009 Simon Umbach über seinen Freiwilligendienst in Oswiecim

Dzień dobry!


SimonMein Name ist Simon Umbach, ich bin 19 Jahre alt und komme aus Aachen. Vor einem Monat endete mein einjähriger Freiwilligendienst im Zentrum für Dialog und Gebet in Oświęcim.


Nach meiner Schulzeit entschied ich mich, ein freiwilliges soziales Jahr im Ausland zu machen und suchte nach einer verlässlichen Entsendeorganisation und einer Einsatzstelle, durch die ich neue Eindrücke und Erfahrungen im Ausland sammeln konnte. Bei meinen Recherchen traf ich auf die Internationale katholische Friedensbewegung Pax Christi in Aachen, die jedes Jahr sieben Freiwillige in verschiedene Einsatzstellen nach Polen, darüber hinaus auch nach Bosnien entsendet. Da ich historisch sehr interessiert bin und insofern eine freiwillige Tätigkeit im Bereich der Gedenkstättenarbeit nahe lag, sprach mich die Einsatzstelle im Zentrum für Gebet und Dialog in Oświęcim sofort an. Außerdem sind meine Familie und ich seit Jahren mit einer in Aachen lebenden polnisch-amerikanischen Familie befreundet; so bekam ich Lust, mehr über das Herkunftsland unserer Freundin Krystyna zu erfahren bzw. dort ein Jahr zu verbringen.


Ich wurde - in Deutschland und auch in Polen - sehr oft gefragt, wie es zu der Entscheidung kam, ein Jahr in Oświęcim / Auschwitz mit seiner traurigen und für die Deutschen beschämenden Geschichte zu verbringen.


Zurückblickend kann ich eine Begegnung nennen, die meine Entscheidung für diesen Friedensdienst sehr beeinflusste. Ende August 2007 besuchten wir, eine kleine Schülergruppe, im Rahmen eines einwöchigen Aufenthalts in Krakau, das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Während unseres Rundgangs sprach mich ein älterer Pole an. Er fragte mich, warum wir, als junge Deutsche, diesen Ort besuchten. Diese Frage, die darauf abzielte, was Auschwitz mit mir zu tun hat, schien mir zunächst leicht zu beantworten. Eine persönliche Antwort zu geben, bereitete mir aber doch große Probleme, beschäftigte mich noch sehr lange und mündete schließlich in eine „Rückkehr" im Rahmen meines Freiwilligendienstes.


Die ersten Monate meines Freiwilligenjahres standen im Zeichen der Eingewöhnung an meinen neuen Wohnort und Arbeitsplatz - eine Zeit, in der ich zunächst einmal die Trennung zwischen dem Lager Auschwitz-Birkenau und der angrenzenden Stadt Oświęcim zu vollziehen lernte: Hier mein Arbeitsplatz im Zentrum für Gebet und Dialog in Lagernähe, dort unsere Wohngemeinschaft in der Stadt Oświęcim oder überhaupt Polen. Wie gut mir diese Trennung größtenteils gelang, erstaunte mich und freute mich auch zugleich. Schließlich wollte mich in diesem Jahr nicht nur mit der Thematik Auschwitz beschäftigen, sondern auch die polnische Kultur und Sprache kennenlernen.


Der libanesisch-ameri­kanische Phi­lo­­soph Khalil Gibran beschreibt Erinnerung als eine Form der Begegnung. Ich bin der deutschen Geschichte und der Frage danach, was sie mit mir zu tun hat, während des Jahres an diesem Ort auf sehr persönlich Weise begegnet - bei Gedenkveranstaltungen, Begegnungen mit Zeitzeugen und der täglichen Arbeit mit Besuchergruppen. Jede Besuchergruppe hatte ihre eigene Umgangsweise mit der Thematik „Auschwitz"; die einen, häufig Schulklassen, näherten sich der Thematik hauptsächlich aus der historischen Perspektive, die anderen suchten eher einen spirituellen Zugang. Für mich war es daher immer wieder spannend, unterschiedliche Gruppen bei ihrem Besuch der ehemaligen Lager Auschwitz und Birkenau zu begleiten. Doch nicht nur die wechselnden Gruppen sondern auch die äußeren Bedingungen machten meine Besuche jedes Mal zu einer neuen und besonderen Erfahrung. Besonders beeindruckte mich der Besuch einer Schülergruppe aus Deutschland im ehemaligen Stammlager, in der ein blinder Junge war. Am Tag der Führung waren sehr viele Besuchergruppen unterwegs. Als wir in der Eingangshalle standen, sagte der blinde junge Mann, dass er, falls er es nicht besser wüsste, eher das Gefühl habe, in einem Schwimmbad oder einem Vergnügungspark zu sein, als in einem ehemaligen Konzentrationslager. In diesem Moment wurde mir nochmals besonders bewusst, dass nicht nur der Besuch des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers an sich wichtig ist, sondern dass vielmehr die eigene Einstellung, warum man dorthin kommt, entscheidend ist. Andernfalls droht die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau zu einem rein touristischen, sinnentleertem Ausflugsziel zu verkommen, von dem keine Botschaft ausgeht. Um dem entgegenzuwirken, ist Bedeutung der pädagogischen Arbeit der Bildungseinrichtungen in Oświęcim (Centrum Żydowskie, Centrum Dialogu i Modlitwy, Międzynarodowy Dom Spotkań Młodzieży, Państwowe Muzeum Auschwitz-Birkenau) als besonders wichtig hervorzuheben.


Mein Jahr in Polen bzw. Oświęcim ermöglichte mir jedoch nicht nur die Begegnung und Auseinandersetzung mit meiner deutschen Geschichte sondern auch mit der polnischen Gegenwart. Ich habe freundschaftliche Kontakte geknüpft und bin herzlich und sehr gastfreundlich von den MitarbeiterInnen im Zentrum für Gebet und Dialog und anderen Polen aufgenommen worden. Dass dies heute so möglich ist, ist vor dem Hintergrund der Geschehnisse vor über 60 Jahren umso erfreulicher.
Das Ende meines Freiwilligendienstes in Polen liegt nun bereits mehr als einem Monat zurück. Der Aufenthalt in einem mir bis dahin unbekannten Land mit einer fremden Kultur und schwierigen Sprache hat mich selbständiger, offener und auch selbstbewusster gemacht. Ich habe viele Einblicke in die Thematik „Auschwitz" erhalten - sowohl von historischer als auch von religiöser / spiritueller Seite. Das Thema „Auschwitz" ist für mich jedoch noch lange nicht erschöpft, sodass ich ohne weiteres noch ein Jahr oder auch länger dort verbringen könnte. Dennoch bin ich froh, nun etwas anderes zu machen und Abstand zu gewinnen, da mein Umgang mit diesem Thema ansonsten zu routiniert werden könnte.


Ich bin mir sicher, dass ich wiederkommen werde! Do zobaczenia!

 

Simon Umbach