2007+2008 Annegret Fuehr - Maximilian Kolbe Werk - in Oswiecim

Freiwilligendienst im „Zentrum für Dialog und Gebet“


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Seit April 2007 bin ich als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Auftrag des Maximilian-Kolbe-Werkes hier in Oświęcim tätig. Die Station in meinem Leben lässt sich innerlich wie äußerlich charakterisieren als „Freizeitphase der Altersteilzeit“; ich bin also gänzlich freiwillig „Freiwillige“. Zuvor : Gymnasiallehrerin in NRW, Entwicklungshelferin in Kenia, Schulleiterin in Thüringen. „I was born under a wandering star...“

Durch meine dreizehn Jahre in Thüringen hatte ich ein lebhaftes Interesse am „Osten“ gewonnen, und es war dann bald ein dringender Wunsch, unser direktes Nachbarland Polen kennen zu lernen. Ein Vortrag von Dr. Deselaers sowie ein Seminar für Lehrer hier im Zentrum brachten mir dies Bildungshaus und seine Intentionen so nahe, dass ich einfach gern mitarbeiten wollte.

Mitarbeit heißt: Hilfe bei der Begleitung von Einzelgästen oder Gruppen, Hilfe bei der Korrespondenz mit Gästen, Übersetzungsarbeit,  Hilfe an der Rezeption, in der Küche, in der Bibliothek. Also: helfen, wo gerade Hilfe gebraucht wird. Zu tun gibt es genug; man muss sich nur melden. Man begleitet die Gäste, die ja ein Besuchsprogramm haben, zu den Gedenkstätten Stammlager Auschwitz und Birkenau, zum Jüdischen Zentrum, zur Stadt Oświęcim...Falls jemand, der/die das liest, den Film „Am Ende kommen Touristen“ gesehen hat: das ist schon ziemlich realistisch.

Das Schöne an dieser Tätigkeit? Wunderbares Haus, wunderbare Mitarbeiter, unglaublich interessante Besucher aus der ganzen Welt: Japan, Australien, Europa, Amerika. Camper, Radfahrer, Biker, Bus-, Zug- und Flugreisende. Junge Leute: Schulklassen oder Gruppen aus Kirchgemeinden, Erwachsene verschiedener Altersgruppen. Alles Menschen, die wissen, warum sie hier sind. Und die darüber sprechen müssen...

Das Schwere an dieser Tätigkeit? Genau das: Hier – das ist „Auschwitz“. Die Gedenkstätten sind von hier aus zu Fuß zu erreichen, aber vor allem innerlich immer präsent. Manche Besucher kommen für einen Tag – manche für eine Woche. Alle stehen vor ganz drängenden Fragen, wenn sie durch die Blocks im Stammlager gehen oder über der Welt größten Friedhof, Birkenau. Mit Hilfe von Büchern, Zeitzeugenberichten, Filmen findet man schon Antworten auf die Frage „Wie war das möglich?“ Aber das „Warum?“ bleibt unbeantwortet. Und ich persönlich kann immer nur eine Zeile aus einem Gebet von Bischof Hemmerle zitieren, das auf der Homepage unter „Texte“ (Gebete) zu finden ist: Die Meinen haben es getan.

Wenn ich die Gedenkstätten besuche, tue ich es, um die Toten zu ehren. Zumindest jetzt nicht wegschauen, wegdiskutieren, wegrelativieren. Wir schulden den Opfern diesen Respekt, indem wir stumm über den endlosen Friedhof Birkenau gehen, indem wir die Fotos der glücklichen, frohen Menschen anschauen, die sie vor der Katastrophe waren, indem wir uns dem Gefühl des Entsetzens und der Scham stellen, das uns beim Anblick der Gaskammern und Krematorien ergreift. Wir dürfen auch angesichts des Kreuzes flehen, dass auch diese Ermordeten nicht verlassen waren: Gott ist bei den Opfern.

Und: „Die Erinnerung an Auschwitz soll uns nicht krank, sondern menschlicher machen“ (M. Deselaers). Man darf von hier (eigentlich) nicht unverändert weggehen. Wir haben eine Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft: vor Gott und vor den Menschen, unseren Mitmenschen. Ganz salopp formuliert: „Goddamn it, you've got to be kind!“ (Kurt Vonnegut)

Empfehle ich einen Freiwilligendienst im Zentrum für Dialog und Gebet in Oświęcim?

UNBEDINGT!

Annegret Fuehr, Dinslaken (August 2007)

2008
Jeszcze raz wolontariusz(ka)
w Centrum Dialogu i Modlitwy w Oświęcimiu

Es geht jetzt aber doch auf deutsch weiter...

Es ist dieselbe Annegret Fuehr, die schon 2007 einen Bericht schrieb und nun – Ende Oktober 2008 – kurz vor der Heimreise ihren zweiten Einsatz als ehrenamtliche Mitarbeiterin im Auftrag des Maximilian-Kolbe-Werkes hier im Zentrum für Dialog und Gebet ein wenig reflektiert. Es kommt nicht so häufig vor, dass eine Freiwillige ihren Aufenthalt verlängert. Ende Oktober 2007 war ich nur „zum Überwintern“ nach Deutschland zurückgekehrt -  mit der ziemlich sicheren Vorstellung, eine Tätigkeit von gleicher Dauer wieder hier wahrzunehmen. Diese Absicht spricht ja für sich, denn sie zeigt, dass ich meine Zeit hier als sehr sinnvoll, lohnend und wichtig empfand. Als ich in meinem letzten Bericht eine ehrenamtliche Tätigkeit im Zentrum für Dialog und  Gebet „unbedingt“ empfohlen hatte, war es eben keine höfliche Floskel gewesen.

Auch in diesem Jahr verbrachte ich die Monate April bis Oktober hier, also die – für mich – schönen Jahreszeiten. Als ich, nach einem Sprachkurs in Krakau im Februar, am 6. April  hier eintraf, war mir alles vertraut. Ich freute mich,  Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wieder zu treffen, dazu neue zu erleben und meine ehrenamtliche  Arbeit  fortzuführen. Als Seniorvolontärin begleitete ich wieder Gruppen oder Einzelreisende zu den Gedenkstätten, nach Oświęcim oder zu besonderen Orten in der näheren und weiteren Umgebung; ich verbrachte den Tag mit ihnen und oftmals den Abend, wenn die Gruppen zu Gesprächsrunden zusammen kamen, einen Film sahen oder jemand einen Zuhörer brauchte.

Die Tätigkeit im Zentrum für Dialog und Gebet bietet Freiwilligen aus Deutschland ausgezeichnete Möglichkeiten, sehr viel über Polen zu lernen. Naturgemäß hat die Zeit des Nationalsozialismus eine besondere Bedeutung, aber da die Polen sehr geschichtsbewusst sind, erfährt der aufmerksame Gast auch viel über andere Phasen und Epochen – glanzvolle und schwere. Mich interessiert gerade dieser Aspekt sehr, da es mein  Wunsch gewesen war, in Polen zu leben, eben um das Land und seine Menschen kennen zu lernen. Da ich das Glück hatte,  eine Geschichslehrerin aus Oświęcim als Freundin zu gewinnen, erhielt ich manchen Einblick in das Innenleben, der  mir sonst verborgen geblieben wäre. Auch die Gespräche mit den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern halfen mir, Polen lieb zu gewinnen, so wie ich es mir erhofft hatte.

Nun braucht eine solche Tätigkeit nicht in erster Linie derjenigen zu dienen, die sie ausübt, aber für mich ist es sehr wichtig, unseren Nachbarn persönlich zu begegnen, gerade wegen der furchtbaren Geschehnisse in der Vergangenheit. Die Wahrnehmung meiner Aufgaben hat mir genau dies ermöglicht. Von den Besuchern konnte ich ebenfalls viel lernen; denn die Begleiter der Gruppen sind oft ausgezeichnete Kenner geschichtlicher Zusammenhänge und – da sie meist nicht nur einmal kommen – Freunde Polens. Auch die Begegnungen mit den Mitarbeitern der Gedenkstätten halfen mir, immer wieder neu den Blick auf Vergangenheit und Zukunft zu lenken. Freilich wird das Leben durch die ständige Präsenz des Themas „Auschwitz“ nicht eben leicht. Es ist daher sehr zu empfehlen, dass Freiwillige, z. B. von Pax Christi,  zwischendurch einige Ferientage zu Hause verbringen.

Als Mitarbeiterin des Maximilian-Kolbe-Werkes war ich drei Mal „unterwegs“: im Mai verbrachte ich drei Wochen mit Gästen aus Weißrussland in Inowrocław, wo die ehemaligen Häftlinge, auf Einladung des MKW, in einem Sanatorium Behandlungen für ihre Leiden erhielten. Eine weitere wichtige Erfahrung vermittelte mir das Zeitzeugen-projekt des MKW im September in Höchst im Odenwald: sechs Damen und Herren aus Polen berichteten Schülern mehrerer Schulen von ihrer Leidenszeit während des Krieges: Auschwitz und Birkenau, Buchenwald, Ghetto Łódż. Die Jugendlichen hörten mit großer Aufmerksamkeit und erkennbarem Ernst zu. Obwohl die Tage für die Gäste aus Polen recht anstrengend waren, bedeutete es ihnen doch viel, in Deutschland Gehör zu finden. Ebenfalls im September konnte ich an dem Treffen der Vertrauensleute des MKW in Łódż teilnehmen, bei dem 42 Überlebende sich austauschten und Neues über Projekte des MKW hörten. Einige besuchte ich dann auch zu Hause; mit mehreren habe ich weiterhin guten Kontakt.

Im Zentrum, bzw. in Oświęcim, gab es in der Zeit so viele Besucher, Aktionen, Konferenzen usw., dass ich sie gar nicht nennen kann. Es ist einfach ein Ort, an den Menschen kommen, die wissen, warum sie „Auschwitz“ besuchen. Und so ist alles sehr intensiv: die Begegnungen, Gespräche, Erlebnisse, die Freude und die Trauer. Wie auch im vergangenen Jahr besuchte ich häufig die Orte der Verbrechen, las viel in den Büchern unserer Bibliothek, sprach mit Deutschen, Amerikanern, Polen, Briten, Australiern. Daneben gab es manches mittels Laptop und Drucker zu erarbeiten, was insgesamt durchaus dem Zentrum zugute kommt.

Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Monate im Zentrum sein konnte. Mein Wunsch war, wie gesagt, für eine Weile in Polen zu leben, und das habe ich getan – mit unendlich großem Gewinn für mich; denn erstens habe ich viele liebenswürdige Menschen kennen gelernt, zweitens  weiß ich nun einiges über die Geschichte Polens, drittens sehe ich die Bedeutung guter Beziehungen zwischen Deutschland und Polen noch deutlicher (freilich auch die Schwierigkeiten). Wenn ich nun wieder nach Deutschland fahre, werde ich dort sowohl für das Zentrum als auch für das MKW weiter tätig sein, ich werde von dort aus nach Polen reisen, ich werde auch  wieder nach Oświęcim kommen, um mich  hier eine Weile aufzuhalten – und ich werde bestimmt eine Fürsprecherin Polens sein. Was ich letztens schrieb, gilt auch jetzt noch als schlichte Lehre aus dem, was uns „Auschwitz“ sagt: Goddamn it, you've got to be kind. (Kurt Vonnegut)

Und wiederum: empfehle ich das Zentrum für Dialog und Gebet in Oświęcim für einen Freiwilligendienst?

Unbedingt!

Annegret Fuehr, Oktober 2008

Oświęcim – Dinslaken